Jan Tabak geht aufs Ganze
geht’s?“
Jan war sprachlos.
Lady aber drängte sich an den Jungen und legte ihm ihren dicken
Kopf auf die Füße. Als Jan die Sprache wiedergefunden hatte, fragte er: „Was machst du denn hier?“
„Nichts“, antwortete Tim, „ich esse. Ihr müßt entschuldigen, daß ich mir schon mal was zusammengebrutzelt habe: wenn man einen Tag und eine Nacht unterwegs ist, kriegt man Kohldampf, und zwar einen ganz gewaltigen.“
Vordem Haus tutete Hinnerk in seinem Auto, und Tina klopfte ans Fenster.
Jan drehte sich um und ging hinaus.
„Du kannst wieder zu deiner Schwester fahren und Geburtstag feiern“, sagte er zu Hinnerk. „Wir brauchen deine Hilfe nicht mehr.“
„Wieso“, fragte Tina, „ist was passiert?“
„Ja“, sagte Jan, „Tim sitzt in der Küche und ißt gerade einen halben Zentner Bratkartoffeln.“
Sie gingen gemeinsam ins Haus und hörten sich an, was der Junge zu berichten hatte. Der aß erst mal den gesamten Pfanneninhalt auf, bevor er begann.
„Ich habe den Laden zwei Tage früher verlassen“, sagte er. „Aus Protest! Der Heimleiter in der Jugendherberge ist nämlich so’n ganz autoritärer Hengst. Hat mir und Herbert doch glatt die Haustür vor der Nase abgeschlossen, als wir drei Minuten nach zehn aus der Stadt kamen. Der Knabe dachte, wir würden einen Kniefall machen und ihn zerknirscht um Einlaß bitten. Aber den Gefallen haben wir ihm nicht getan. Wir haben uns umgedreht und sind verduftet. Die Nacht über sind wir getippelt und seit heute morgen dann per Anhalter unterwegs. Diese Art zu reisen empfiehlt sich jedoch nicht für die kalte Jahreszeit, wir haben ganz schön geklappert am Straßenrand.“ Tina holte tief Luft. Jan merkte, daß sie etwas Unfreundliches sehr laut äußern wollte. Darum kam er ihr zuvor.
„Wir glaubten, dir sei was zugestoßen“, sagte er. „Dein Lehrer hat hier angerufen, und die Polizei sucht dich überall. Aber du lebst, und das ist erstmal die Hauptsache. Über alles Weitere wollen wir uns später unterhalten. Ich werde sofort nach Arnsberg telefonieren, damit die Suchaktion abgeblasen wird.“
„Wenn das so ist“, sagte Hinnerk Murken, „dann bin ich ja wohl nicht mehr vonnöten und darf mich empfehlen.“ Er klopfte Tim wohlwollend auf die Schulter und ging strahlend zu seinem Wagen hinaus, um die Geburtstagsfeier mit doppeltem Eifer fortzusetzen. Am Telefon bekam Jan einige böse Worte vom Herbergsvater zu hören und drei Tage später, als die Klasse wieder in Bremen war, noch bösere von Tims Lehrer. Er versuchte die Sache herunterzuspielen und sie als das darzustellen, was sie war, nämlich die unüberlegte Tat eines Jungen, der, in Heimen großgeworden, bei allem Zwang, den Erwachsene ihm antaten, rot sah.
Der Lehrer sprach von mangelnder Selbstzucht, schlechtem Beispiel und dem nunmehr gestörten Verhältnis zwischen ihm und Tim, und Jan hörte deutlich heraus, daß er dem Jungen seine Flucht aus der Jugendherberge nicht verzeihen würde.
Die ganz besondere Weihnachtsfreude
Als Jan Tabak Ende November auf dem Weg von Garbades Gaststätte nach Hause vom ersten Schneefall überrascht wurde und sich, da er nach der kleinen Feier im Kreise seiner Freunde nicht mehr ganz sicher auf den Beinen war, mehrmals auf den glatten Untergrund setzte, kam ihm ein großartiger Gedanke. Wenn es so weiterschneit, dachte er, könnte man den Kindern zu Weihnachten doch etwas ganz Besonderes bieten, nämlich eine Fahrt zur Kirche im Pferdeschlitten. Auch Oma Jenny würde daran ihren Spaß haben. In warme Decken eingehüllt, würden sie alle auf dem Schlitten sitzen, das Geläut der feinen Glocke im Ohr, und durch die tiefverschneite Niederung fahren, während in den einsamen Höfen rings und in der fernen Stadt nach und nach die Weihnachtsbäume angezündet würden und der Heilige Abend begönne. Friedlich und in heiterster Stimmung würden sie die Kirche betreten, die Weihnachtsgeschichte hören und dann unter einem hohen Sternenhimmel nach Hause zurückfahren. Der gefrorene Schnee würde unter den Schlittenkufen knirschen, das Pferd würde seinen warmen Atem sichtbar in die frostkalte Luft blasen, und man säße da, aneinandergeschmiegt, einträchtig, sanftmütig, voller guter Gedanken, und spürte, daß man an einem unvergleichlichen und unvergeßlichen Erlebnis teilhätte.
Jan blieb stehen und sah nach Bremen hinüber, wo hinter vielen der erleuchteten Fenster auch schon Weihnachtsvorbereitungen getroffen werden mochten. Fragt sich
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