Jan Tabak geht aufs Ganze
weiter.
In der nächsten Woche hatte Jan keine Gelegenheit, noch mal nach Wasserhorst zu gehen, um nach dem Namen des Ponys zu fragen, und in der übernächsten hatte er vergessen, was er wollte.
Es schneite stark in den letzten Tagen vor Weihnachten, und da die Temperaturen immer unter dem Nullpunkt lagen, blieb der Schnee liegen. Jan rieb sich heimlich die Hände. Er stiefelte oft auf den Deich hinaus und prüfte die Gleitfähigkeit der festgefahrenen Schneedecke. Der Räumkolonne, die jeden Morgen den frischgefallenen Schnee an die Seite pflügte und Salz streute, rief er zu, sie solle doch an die Kinder denken und den Schnee liegenlassen. Aber die Männer schüttelten den Kopf.
„Wir haben unseren Auftrag“, sagten sie. „Die Kinder können auch hinter dem Deich Schlitten fahren.“
Seit Tagen duftete das ganze Haus wie eine Bäckerei.
Tina wollte ihren Gästen zeigen, was man in Norddeutschland zu Weihnachten ißt. Sie backte einen Klaben, eine Sandtorte und einen Butterkuchen und half dann Oma Jenny bei der Herstellung oberdeutscher Leckereien. Dabei schnupperte sie zum erstenmal in ihrem Leben Kipferln, Zimtstäbe und Weihnachtsstrietzel.
Im Dachgeschoß roch es strenger, nach Leim, Kleister, Kleber und Farbe nämlich. Da bastelten Tim und Nicole an Geschenken aus Holz, Draht, Stoff und Pappe. In ihrem Zimmer sah es aus wie in einer Werkstatt, einer sehr, sehr unordentlichen. Aber rechtzeitig zum Fest wurde alles fertig.
Am Morgen des vierundzwanzigsten Dezembers schneite es noch einmal für mehrere Stunden. Bei völliger Windstille schwebten die Flocken hernieder und schmückten Häuser, Bäume und Zaunpfähle mit Mützen, Kragen und Schals aus weißem Pelz. Als warme Decke legten sie sich auf die Weiden und verwandelten die Schilfgründe an der Wümme in einen Zaubergarten aus Watte und Zucker. Lady stand eine Weile draußen und schnappte nach den Flocken. Als Eisbär kam sie wieder herein. Und da sie sich sofort an die Heizung drängte, begann sie bald zu tropfen wie ein Badehandtuch an der Wäscheleine. Jenny, die dem Hund seit der gemeinsam durchlittenen Helgolandfahrt geschwisterliche Gefühle entgegenbrachte, trocknete ihn ab und legte ihm eine Wolldecke über.
„Jetzt bleibst du aber hier“, schimpfte sie. „Was hast du von Weihnachten, wenn du mit einer Grippe im Bett liegen mußt!“ Sie setzte sich neben ihn, nahm seinen Kopf in den Schoß und kraulte ihm das Fell.
Beim Mittagessen ließ Jan so ganz nebenbei verlauten, daß Hinnerk Murken sie heute leider nicht mit in die Kirche nehmen könne, weil er Besuch aus der Stadt gekriegt habe.
Tina sah ihn groß an.
„Was machen wir denn da?“ sagte sie. „Wir können doch Oma Jenny nicht zumuten, daß sie zu Fuß bis nach Wasserhorst läuft! Das sind über vier Kilometer. Auf der glatten Straße braucht sie dafür mehr als zwei Stunden.“
„Wieso Wasserhorst?“ fragte Jan und tat erstaunt. „Ich dachte, wir sollten am Heiligen Abend die Mühe nicht scheuen und die Kirche in St. Jürgen besuchen.“
Tina sah ihren Mann streng an und schnupperte zu ihm hinüber wie ein Hund, der Witterung aufnimmt.
„Hast du was getrunken, Jan Tabak?“ fragte sie. „Kannst du selbst am Heiligen Abend die Flasche nicht in Ruhe lassen?“
Aber Jan schlug seine Augen groß und unschuldig auf. „Getrunken?“ fragte er. „Ich? Wie kommst du darauf, Tina?“
„Weil es bis nach St. Jürgen mehr als doppelt so weit ist, Jan Tabak, darum! Oder meinst du, ein nüchterner Mensch würde von einer alten Dame und zwei Kindern verlangen, daß sie 10 Kilometer durch tiefen Schnee stapfen?“
„Wer spricht von Stapfen?“ verteidigte sich Jan. „Wir fahren natürlich.“
„Hast du nicht eben gesagt, Hinnerk müsse seine ganze Verwandtschaft ins Auto laden und hätte keinen Platz mehr für uns?“ rief Tina empört.
„Natürlich habe ich das!“ rief Jan zurück. „Und es stimmt auch! Meinetwegen gehe hin und frage ihn!“
Tina sah sich hilflos um, nun verstand sie gar nichts mehr von Jan Tabaks Gerede.
Da hielt er den Zeitpunkt für günstig, seine Überraschung anzubringen. Schon vor mehreren Minuten hatte er die Glocke läuten hören, der Schlitten war also da.
„Meine liebe Tina“, begann er feierlich, „liebe Oma Jenny, liebe Kinder. Ich schenke euch allen zu Weihnachten eine Fahrt in die Kirche von St. Jürgen mit dem Pferdeschlitten. Kommt mit nach draußen, er steht schon da und wartet auf euch.“
„Wie bitte?“ rief Tina
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