Jan Weiler Antonio im Wunderland
uns, was ich als Charme-Offensive werte und jedes Mal mit ihm anstoße.
Es kommt nun zu einer verbissenen sportlichen Auseinan-dersetzung. Man könnte schon sagen, es ist Kampfkegeln.
Ein regelrechter Kegelkrieg, eine Kugelschlacht tobt im Keller der Traditionsgaststätte Fuchsbau. Die Herren Wittek und Koppen rollen mit der schwerfälligen Eleganz von Tanzbä-
ren ihre Kugeln auf die Bahn, während ich leichtfüßig meine Salven abfeuere, beinahe schwerelos nach getanem Wurf ab-drehe und zu meinem Bierglas fliege. Benno gibt sich unbe-eindruckt, er wirft konstant, aber ohne Technik, und Antonio kopiert meinen Stil ohne auch nur annähernd seine Brillanz zu erreichen. Am Ende werde ich Vorletzter, nur Sara trifft weniger.
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Antonio gibt sich die größte Mühe, uns in das Vereinsleben zu integrieren, denn es gibt ja nichts Schöneres als Sport, besonders im Verein. Diese feierliche Eingabe von Köppen quittiere ich mit einem lauten «Jawoll!» und bestelle mit den Worten «Mehr Obst!» sofort noch ein paar von diesen köstlichen Feiglingen. Einige mehr oder weniger gelungene Würfe später sind Sara und ich Mitglieder in der Kegelbruderschaft
«Die munteren Sieben». Der Name wird allerdings deswegen nicht geändert, weil wir erst wieder in vier oder fünf Jahren mitspielen. Solange brauche ich noch, um mich von Frau Wittek zu erholen. Auch von Mitgliedsbeiträgen sind wir erfreu-licherweise befreit, wie übrigens alle Mitglieder, was dieser Geste etwas die Größe nimmt.
Der Abend endet mit für mich eindeutig zu drastischen Fra-ternisierungsmaßnahmen der Ehepaare Wittek und Köppen.
Es wird ganz heftig umarmt, und der Ernst, also Herr Köppen, freut sich, dass er die Jugend für dieses schöne Spiel hat gewinnen können. Ermattet sinke ich auf den Rücksitz von Antonios Auto.
«Und das macht ihr alle zwei Wochen?», frage ich. Sara ist neben mir bereits eingeschlafen.
«Alle zwei Wochen», wiederholt Ursula.
«Ja, unde bald ist vorbei dafür», sagt Antonio.
«Was soll das heißen, es ist vorbei?», frage ich ihn. Nicht dass ich jetzt noch zu längeren Diskussionen in der Lage wäre, aber der Satz kommt schon komisch rüber. Ich dachte, Kegeln macht ihm Spaß.
«Liebe Jung, Kegeln iste für Leute eine Ausgleich von Arbeit und spezielle Überanstrengung der sie haben in Beruf.»
«Aha.» Ich habe nur die Hälfte begriffen.
«Und? Abbi ein Beruf?»
«Du bist Rentner.»
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«Na also, siehste du, kanni mache wassi will und muss nickte zum Kegeln gehen.»
«Aha. Und was wirst du jetzt machen mit deiner Freiheit?»
«Vielleickte schön verreisen?» Ich ahne schon, was das bedeutet.
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TRE
Antonios neue Freiheit will natürlich mit einer Fahrt nach Italien gefeiert werden. Seine Familie in Campobasso muss unbedingt in den Genuss seiner maßlos guten Rentnerlaune kommen. Diese überschäumende Mildtätigkeit kriegen Sara und ich als Erste zu spüren, denn wir werden von ihm selbstverständlich eingeladen, den Urlaub mit ihm zu verbringen.
Das ist indes nichts Ungewöhnliches, denn dieses Schicksal ereilt uns jedes Jahr. Neu ist nur, dass er sich jetzt als deutscher Rentner bezeichnet.
Diese Ferien sind eine zweischneidige Sache. Einerseits sind sie immer sehr schön, andererseits gibt es keine Alterna-tive dazu. Wenn man nämlich in eine italienische Familie ein-heiratet, steht fest, wo man in den kommenden fünfzig Jahren den Urlaub verbringt. Das klingt deprimierend, und das ist es auch, schließlich kommt man nicht auf die Welt, um den Rest seines Lebens unter ein und demselben Sonnenschirm zu sitzen und darauf zu wetten, ob Tante Maria vor dem Essen in der Sonne schmilzt oder nach dem Essen im Schatten platzt.
So eine Familie beraubt einen auch der Chance, sich mal Tanten in Spanien oder Kanada oder Finnland anzusehen. Ich nehme zu meiner Beruhigung an, dass Tanten überall auf der Welt entweder platzen oder schmelzen.
Die Urlaube bei der Familie haben hingegen auch ihr Gutes, denn man spart eine ganze Menge Geld. Nicht dass ich geizig wäre, das nun wirklich nicht. Aber es steht nun einmal fest, dass Ferien ganz schön teuer sind. Und für mich und meine 43
Frau sind sie es eben nicht, weil wir in eine der wärmsten Gegenden von Europa fahren, ohne für die Unterkunft bezahlen zu müssen.
Trotz dieses unleugbaren Vorteils sind wir in den letzten Jahren bockig geworden, besonders gilt dies für Sara. Seit ich-rer frühesten Kindheit fährt sie nach Italien zur Familie. Sie spielte mit den
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