Jan Weiler Antonio im Wunderland
panettone. Ich würde einen panettone lieber als Kopf-bedeckung benutzen, als ihn zu essen. Ich glaube auch nicht, dass es viele Dinge gibt, die noch spuckeresistenter sind als so ein Staubhaufen mit Zitronat. Doch selbst wenn ich zugeben wollte, dass ich panettone fast noch weniger leiden kann als rechtsradikale Sachsen, ich könnte es nicht, denn damit wären frühere Aussagen («Hmm! Lecker! Und so frisch!») als Lügen enttarnt. Ich esse also und denke dabei an was Schönes.
Überhaupt. Essen. Ein Dauerthema in meiner Familie. Im Verlaufe meiner Ehe habe ich etwa zehn Kilo zugenommen, in jedem Jahr zwei. Und in jedem Jahr haben wir die Familie zweimal besucht. Interessant, nicht? Rein rechnerisch ergibt 46
sich also bei einer Ehedauer von vierzig Jahren und regelmä-
ßigen Fahrten nach Campobasso eine Gewichtszunahme von achtzig Kilogramm. Sara möchte nicht, dass ihr Mann eines Tages 150 Kilo wiegt. Und sie möchte gerne Fernreisen machen, tropische Strände sehen und nicht beim Baden Glas-scherben aus dem Sand ziehen.
Einmal, ein einziges Mal fuhren wir im Sommer nicht nach Italien. Das war im vergangenen Jahr. Das lag daran, dass Sara in dieser Zeit mit ihrem Vater über Kreuz lag. Sie hatten einen kurzen, aber heftigen Streit, in dem es darum ging, dass Antonio überall und immer ohne Angelschein angelt. Ich fand, das sei seine Sache, aber Sara fing an, mit ihm darüber zu diskutieren. Sie mag nicht, wenn er seine Ausländerrolle dazu instrumentalisiert, sich nicht an Regeln halten zu müssen. Er bestand darauf, dass er die deutschen Angelgesetze nicht kenne und ihn niemand dafür zur Rechenschaft ziehen dürfe.
Aber Sara hielt ihm vor, dass er nicht die Wahrheit sage, und er, der Lüge bezichtigt, fing nun an, sich über seine Tochter zu beklagen, die nie zu ihm halte.
Auch wenn es scheinbar um nichts Wichtiges ging, so machte ihr die Angelegenheit zu schaffen: Denn wenn Antonio die Gastarbeiterkarte spielt, sich ahnungslos und dumm stellt, dann macht er sie damit automatisch zum Kind eines ahnungslosen Ausländers. Seine freiwillige, mehr noch: be-trügerische Selbstdegradierung stuft sie im gleichen Maß mit ab. Und das kann sie nicht ertragen. Natürlich wollte er sich nichts von seiner Tochter sagen lassen. Wer will das schon?
Also wurde er wütend und schloss Sara und damit auch mich theatralisch vom gemeinsamen Urlaub aus: «In mein Urlaube du biste ein unerwünschte Person.»
«Vielleicht könntest du dich öfter mit deinem Vater streiten, dann würden wir immer woandershin fahren», sagte ich. Ich 47
nahm diesen Streit nicht so ernst, und das war ein Fehler, wie sich später herausstellen sollte.
Als Paar im Reisen ungeübt, suchten wir ein Reisebüro auf und buchten einen Cluburlaub in einer Anlage, wo keine Familien hindürfen, denn wir wollten ausdrücklich keinen Familien-urlaub. Später erfuhr ich, dass derartige Clubs von Reisekauf-leuten auch scherzhaft Spermabunker genannt werden, weil es da unglaublich zur Sache geht. Unser Spermabunker befand sich auf einer Kanareninsel und wurde von weiß geklei-deten Spinnern geleitet, die begeistert in die Hände klatsch-ten, wenn sie einen sahen.
Um den Übernachtungspreis abzuurlauben, schrieben wir uns für jede erdenkliche Tätigkeit ein. Ich bildete mir ein, dass man das Preis-Leistungs-Verhältnis günstig beeinflussen könne, wenn man bis zu achtzehn Stunden pro Tag in irgend-welchen Kursen und Workshops verbringe. Tatsächlich war das dem Club vollkommen schnuppe, er ging jedenfalls nicht an meinen vielfältigen Aktivitäten zugrunde. Mein Yogalehrer Bernd aus Eberswalde merkte allerdings an, dass ich viel zu gestresst sei, um in einen Entspannungszustand zu kommen.
Dabei seien wir hier doch in den Ferien.
Morgens hatten wir Lachtraining bei einer Betriebsnudel in Bermudas, die von sich preisgab, dass sie früher Pharmazie-vertreterin im Hessischen gewesen sei. Wir mussten uns in einem Kreis aufstellen und uns anlachen. Hahaha. Zum Ende der Stunde schärfte sie uns ein, anstelle von Wortbeiträgen in Unterhaltungen einfach mal spontan laut zu lachen, das mache gute Laune. Außerdem forderte sie uns auf, unseren Alltag auch öfter mit einem Lachen zu kommentieren und dies hier im Club zu üben.
Nach dem Lachtraining ging meine Frau zum Töpfern und 48
ich zum Golf, wo ich – hahaha – den Abschlag übte. Nach dem Mittagessen machten wir Fahrradtouren oder ließen uns
– hahaha – warmes Speiseöl über den Kopf gießen. Dann
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