Jan Weiler Antonio im Wunderland
gab es noch Massagen, Kite-Surfen, Tauchen, Tennis und – großes Hahaha – Nordic Walking. Abends nach dem Essen traf man sich topgelaunt in einer Bar auf dem Clubgelände, wo die männlichen Lachsäcke versuchten, meine Frau zum Geschlechtsverkehr zu überreden. Hahaha.
Wir stellten rasch fest, dass dieses Amüsierghetto nicht nur gänzlich ungeeignet für Familien, sondern generell für Paare war. Einzig mit Samen bis zum Hals gefüllte allein stehende Männer und daran interessierte Single-Frauen würden sich hier wohl fühlen. Nach zwei Wochen, in denen ich lachend verteidigte, was ich mühsam geheiratet hatte, fuhren wir wieder nach Hause. Ich wünschte mir nichts sehnlicher als meine anstrengende Sippschaft aus Campobasso zurück. Ich schwor, ihr niemals mehr untreu zu werden.
Aber selbst wenn es uns auf dieser Porno-Hacienda super gefallen hätte: In diesem Jahr könnten wir gar nicht vor Campobasso kneifen, denn es heißt, dass wir womöglich die letzte Chance haben, Nonna Anna noch einmal zu besuchen. Das heißt es zwar in jedem Jahr, aber das bedeutet nur, dass dieses Argument immer stichhaltiger wird.
Nonna Anna ist eine wunderbare alte Frau, die nur aus Seh-nen und pergamentener Haut zu bestehen scheint. Auf dem Kopf hat sie eine Art Dutt, und sie trägt eine Hornbrille, die viel zu schwer für ihre kleine Nase ist. Wenn sie die Brille ab-nimmt, bleiben rote Druckstellen. Nonna Anna verfügt über mehrere Kittelschürzen, einen kleinen Spitzbauch und über 400 verschiedene Nudelrezepte, die sie alle im Kopf hat. Sie kann gnocchi selber machen, und wenn sie die kleinen Klöß-
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chen mit den Fingerspitzen rollt, kann man gar nicht sehen, wie diese eigentümliche Form entsteht, so schnell geht das.
Sie besitzt einen trockenen Humor und mehrere Fürcht einflößende Gemälde, auf denen Kinder zu sehen sind, die vor dunklen Hintergründen stehen und Tränen in den Augen haben. Im Gästezimmer hängt eines mit einem blonden Jungen, der ein Glas Milch in der Hand hält und weint.
Und noch ein Umstand macht es uns unmöglich, Antonios großzügiges Angebot auszuschlagen: Vor kurzem hat sich die Familie Marcipane um ein Mitglied vergrößert. Dem Ehepaar Pamela und Paolo wurde ein Sohn namens Primo geschenkt.
Geburten passieren da unten recht oft, aber da wir schon bei der Hochzeit der beiden eingeladen waren, müssen wir auch an allen weiteren Höhepunkten ihres Lebens teilnehmen.
Pamela ist die Tochter von Maria und Raffaele Marcipane.
Antonio ist also ihr Onkel, und Sara ist ihre Cousine, und ich hänge irgendwie da dran.
Ich packe also wie immer unser Auto. Wir haben einen recht geräumigen Wagen, und zwar deshalb, weil ich auf Reisen gerne meine eigene Matratze dabeihabe. Meine Bemühungen, Italien ohne Bandscheibenschäden zu verlassen, haben sich als tölpelhafte Versuche, das Schicksal herauszufordern, entpuppt. Ich lag zum Schlafen schon auf Luftmatratzen, auf aufgeblasenen Gummitieren, auf Strohmatten, auf Betonbänken, auf dem Boden, auf Handtüchern, auf meiner Frau und natürlich in Betten. Letzteres funktionierte leider nicht.
Ich schlief nicht auf, sondern in weichen Matratzen, die mich umgaben wie die Fruchtblase den Fötus. Ich habe auf Fernsehsesseln, auf Küchenstühlen und quietschenden Stahl-federn gelegen, die sich in meinen Rücken bohrten. Nach dem Urlaub kam ich jedes Mal gekrümmt wie ein Olivenbaum nach Hause.
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Ich habe also ein Auto angeschafft, dessen Ladekapazität wir genau zweimal im Jahr benötigen, nämlich wenn wir nach Italien fahren. Leider können wir auf dem Rückweg kaum Flohmarktkrempel, Keramik, Jesusse am Kreuz oder andere landestypische Spezialitäten mitnehmen, weil meine Matratze so viel Platz beansprucht. Sara ist darüber verstimmt, aber das sind nun einmal die Kompromisse, die sie eingehen muss.
Dafür fahre ich, ohne zu meckern, Tausende von Kilometern im Dienst des Familienfriedens hinter italienischen Lastwagen auf mautpflichtigen Straßen. Bei Nonna Anna bleibt die Matratze übrigens im Wagen. Ich gelte bei ihr ohnehin schon als wunderlich, da muss ich nicht auch noch meine eigene Bettstatt in ihre Wohnung wuchten. Normalerweise bleiben wir ein paar Tage bei ihr und beziehen dann ein Ferienhaus für zwölf bis achtzehn Personen, wo ich die Matratze auf den Boden lege. Meine Frau schläft sehr gut in den italienischen Betten. Das sind die Gene, glaube ich.
Früher fuhren wir mit Antonio im Konvoi von Deutschland nach Italien, aber das halte
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