Jan Weiler Antonio im Wunderland
Salami.»
«Maria, er mag keine Salami! Himmelherrgott, wir gehen zu Baffone und kaufen die gute Salami, und dabei mag er sie gar nicht! So eine Pleite!»
«Aber ich esse sehr gerne Salami.»
«Du kannst auch Schinken haben. Maria, hol mal den Schinken!»
«Ich liebe Salami über alles, ehrlich.»
«Na, wenn du sie magst, warum redest du dann lange? Iss sie auf. Es muss dir doch nicht peinlich sein, dass du Salami magst. Jeder mag Salami.»
Was soll man darauf noch sagen? Ich stopfe die Salami in dicken Scheiben in mich hinein, bis Sara mir durch energi-sches Hand-auf-den-Arm-Legen Einhalt gebietet.
Topthema des Abends ist die Altstadt von Campobasso, welche nach diversen Erdbeben und auch aufgrund einer gewissen Laxheit im Umgang mit den alten Häusern in einem desolaten Zustand ist. Teile des historischen Stadtkerns sind bereits evakuiert, man kann dort nicht mehr leben. Die Wände der Häuser sind zu feucht und zu brüchig, die Gassen sind schmal und steil, man kommt fast nirgends mit dem Auto hin.
Nonna Anna ist dort vor fünfzig Jahren weggezogen. Schon damals galt die Gegend unterhalb der Burg als unbewohnbar.
Nun erwägt man, das ganze Gebiet abzureißen. Das macht Onkel Egidio fuchsteufelswild, immerhin ist es eine antike Stadt, sie geht auf die Langobarden zurück und im Mittelalter hatte Campobasso sogar das Münzprägerecht. Man war mal wer – vor 600 Jahren. Und heute? Alles im Arsch, im Eimer, 54
«eine heruntergewirtschaftete Scheiße ist das hier», tobt der Onkel und haut mit der flachen Hand auf den Tisch, dass sein Glas hochspringt. Wie kann man das nur abreißen, Hunderte Häuser sind betroffen!
Ich bin schon oft dort spazieren gegangen, mit Sara und manchmal mit Antonio, der mir dann von seiner Kindheit erzählte. Es ist schön dort, etwas morbid vielleicht, aber wirklich sehr hübsch. Man könnte hier sehr gut Filme drehen, die im Mittelalter spielen und in denen sinistre Mönche mit Kerzen in der Hand umherschleichen. So ein Ort ist das.
Gegen den stetigen Verfall müsste man etwas tun, aber das hier ist die italienische Provinz, wo es viel zu viele antike Gebäude gibt, um sie alle zu beschützen. Antonio, der in Italien immer die Rolle des welterfahrenen Grandseigneurs spielt, weil er der Einzige ist, der je von hier weggegangen ist, hält einen längeren Vortrag über die politischen Versäum-nisse in Sachen Denkmalschutz und kommt zu dem Schluss, dass viel Phantasie vonnöten wäre, um die Bausubstanz von Campobasso zu erhalten. Aber Phantasie habe man ja hier nur noch, wenn es um kriminelle Machenschaften ginge.
Sara verdreht die Augen, wie nur Töchter die Augen verdre-hen können. Antonio kommt so langsam auf Betriebstempe-ratur. Hier unten spricht er immer viel lauter als zu Hause in Deutschland. Er berichtet nun von den vielfältigen Vorzügen seiner Wahlheimat, besonders von der herausragenden Rolle des Denkmalschutzes, von dem er natürlich keine blasse Ahnung hat. Sonst könnte er nicht das Fußballstadion von Krefeld als Weltkulturerbe bezeichnen und die Autobahn zwischen Neuss und Köln als gepflegtes Vermächtnis der römischen Besatzer.
Ich amüsiere mich prächtig, aber es entgeht mir nicht, dass Sara verstimmt den Tisch verlässt, um wenig später zurück-55
zukommen und mit dem Verschluss einer Wasserflasche herumzuspielen. So etwas macht sie nur, wenn sie genervt ist.
Bei unseren wenigen Ehekrächen habe ich das festgestellt.
Antonio hat längst die ganze Aufmerksamkeit der Familie, alle anderen Unterhaltungen sind versiegt, selbst Onkel Raffaele hat die sonst ständig schwelende Konkurrenz zu Antonio aufgegeben und fügt sich in seine Rolle als Zuhörer. Vom Schutz erhaltenswerter Gebäude ist er bruchlos zu seinem Lieblingsthema gesprungen: sich selbst. Mit erstaunlicher Präzision wiederholt er die Rede von Personalvorstand Köther anlässlich seiner Verrentung, von der er erzählt, als sei sie live im Fernsehen übertragen worden. Er wandelt Köthers Text allerdings insofern ab, als in seiner Fassung sämtliche Erfolge und strategischen Volten des Unternehmens auf seinen, auf Antonio Marcipanes visionären Ideen basierten. Diese hätten nicht nur das Unternehmen, sondern vor allem ihn auf geradezu midasmäßige 1 Art reich gemacht.
«Menno 2 , Papa, jetzt halt doch endlich mal den Rand! Das ist wirklich unerträglich», bellt Sara plötzlich auf Deutsch da-
1 Midas, der mythische König von Phrygien, verwandelte alles in Gold, was er berührte, was
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