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Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Titel: Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Brontë
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wild toben, Heiden, die sie sind; und die Wünsche mögen allerlei eitle Dinge herbeisehnen – aber dennoch soll die Vernunft in jeder Streitfrage das letzte Wort behalten und die entscheidende Stimme bei jeder Beschlussfassung. Stürme, Erdbeben und Feuersbrunst mögen hereinbrechen, ich werde mich dennoch stets der Führung jener leisen, schwachen Stimme anvertrauen, welche die Eingebungen des Gewissens zu deuten sucht.‹
    Gut gesprochen, Stirn, deine Erklärung soll geachtet werden. Ich habe meine Pläne gemacht – ich glaube, dass es ehrliche und gerechte Pläne sind – und bei ihrer Ausarbeitung habe ich auf die Stimme des Gewissens, die Ratschläge der Vernunft gehört. Ich weiß, wie bald die Jugend schwindet und die Schönheit schwindet, wenn in den Kelch, welchen das Glück uns bietet, auch nur ein Tröpfchen von Schande, ein Hauch von Gewissensqualen geträufelt ist; und ich will keine Opfer, keinen Kummer, keine Zerstörung, das ist nicht nach meinem Geschmack. Ich will wohltun, ich will erhalten, aber nicht vernichten. Ich will Dankbarkeit ernten – nicht blutige Tränen auspressen, nicht einmal salzige. Ich will Lächeln, Liebkosungen, süße Worte ernten. – Nun ist’s genug! Ich glaube, ich tobe in einem köstlichen Delirium. Ich möchte diesen Augenblick bis in die Ewigkeit verlängern,aber ich wage es nicht. Bis zu diesem Moment ist es mir gelungen, mich zu beherrschen. Ich habe gehandelt, wie ich mir innerlich geschworen hatte, handeln zu wollen – was aber jetzt kommt, geht über meine Kräfte. Stehen Sie auf, Miss Eyre, verlassen Sie mich, das Stück ist zu Ende gespielt!«
    Wo war ich? Wachte ich oder träumte ich? Hatte ich das alles nur im Schlafe gehört, träumte ich noch immer? Die Stimme der alten Frau war plötzlich verändert. Ich kannte ihre Sprache und ihre Bewegungen ebenso gut, wie ich mein eigenes Gesicht im Spiegel wiedererkannte – wie die Sprache meiner eigenen Lippen. Ich erhob mich, aber ich ging nicht. Ich sah sie an, rührte in den Kohlen und blickte sie erneut an. Aber sie zog den Hut und die Binde noch tiefer ins Gesicht und gab mir wiederum ein Zeichen, mich zu entfernen. Die Flammen des Kamins beleuchteten ihre ausgestreckte Hand. Aufs Höchste gespannt, wie ich war, bemerkte ich diese Hand sofort: Sie war ebenso wenig welk oder greisenhaft wie meine eigene Hand, vielmehr war sie rund, kräftig und schön geformt. Ein kostbarer Ring blitzte an dem kleinen Finger, und indem ich mich verbeugte und den Edelstein betrachtete, erblickte ich ein Juwel, das ich schon hundertmal bemerkt hatte. Ich sah wieder zu dem Gesicht empor, das nun nicht mehr von mir abgewandt war – im Gegenteil, der Hut war fort, die Binde zurückgeschoben, der Kopf neigte sich mir zu.
    »Nun, Jane, kennen Sie mich?«, fragte die mir wohlbekannte Stimme.
    »Nehmen Sie nur den roten Mantel ab, Sir, dann werde ich wohl …«
    »Das Band hat sich verknotet, helfen Sie mir.«
    »Zerreißen Sie es nur, Sir.«
    »Wohlan denn, fort mit dem Mummenschanz!« Und Mr. Rochester warf seine Verkleidung von sich.
    »Aber Sir, welch seltsame Idee von Ihnen!«
    »Indessen gut durchgeführt, nicht wahr? Stimmen Sie mir nicht bei?«
    »Mit den Damen ist Ihnen das Spiel gelungen.«
    »Mit Ihnen nicht?«
    »Mir gegenüber haben Sie den Charakter der Zigeunerin nicht gut genug gespielt.«
    »Welchen Charakter denn sonst? Meinen eigenen?«
    »Nein, irgendeinen, der mir unverständlich war. Kurz und gut, ich glaube, dass Sie versucht haben, mich anzulocken, oder vielmehr, etwas aus mir herauszulocken. Sie redeten Unsinn, um mich ebenfalls irgendwie gedankenloses Zeug sprechen zu lassen. Das war nicht besonders fair von Ihnen, Sir.«
    »Können Sie mir vergeben, Jane?«
    »Das weiß ich nicht, bevor ich nicht über die ganze Sache nachgedacht habe. Wenn ich nach reiflicher Überlegung einsehen sollte, dass ich keine allzu große Albernheit begangen habe, so werde ich versuchen, Ihnen zu vergeben. Aber es war dennoch nicht recht von Ihnen, Sir.«
    »Oh, Sie haben ganz korrekt gehandelt – Sie waren sehr vorsichtig, sehr vernünftig.«
    Ich sann nach, ich überlegte und fand, dass dies wirklich der Fall gewesen war. Das war wenigstens ein Trost – ich war wirklich seit Beginn der Unterredung auf der Hut gewesen. Ich hatte gleich anfangs eine Verkleidung vermutet. Ich wusste, dass Wahrsagerinnen und Zigeunerinnen sich nicht auszudrücken pflegen, wie diese anscheinend alte Frau es getan hatte. Außerdem war mir ihre

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