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Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Titel: Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Brontë
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unterwarf, dass die eiserne Willenskraft des Letzteren vollständige Gewalt über die Trägheit und Willenlosigkeit des Ersteren besaß. Die wenigen Worte, welche beide miteinander gewechselt hatten, mussten mich davon überzeugen. Es war augenscheinlich, dass die passive Sinnesart des einen während ihres früheren Verkehrs gewöhnlich durch die seltene Tatkraft des anderen beeinflusst worden war. Aber welchem Grund entsprang dann Mr. Rochesters Schrecken, als er von Mr. Masons Ankunft unterrichtet wurde? Weshalb hatte der bloße Name dieses willenlosen, schwachen Individuums, das er mit einem einzigen Wort beherrschen konnte wie ein Kind, ihn niedergeschmettert, wie der Blitz zuweilen die starke Eiche zerstört?
    Ach, ich war nicht imstande, seinen Blick und sein bleiches Gesicht zu vergessen, als er flüsterte: »Jane, das ist ein Schlag für mich, ein furchtbarer Schlag, Jane!« – Ich konnte nicht vergessen, wie der Arm gezittert, der sich auf meine Schulter gestützt hatte. Und es konnte keine unbedeutende Kleinigkeit sein, wenn sie imstande war, den entschlossenen Geist und die mächtige Gestalt Fairfax Rochesters derartig zu erschüttern.
    ›Wann wird er kommen? Wann wird er wiederkommen?‹, rief alles in mir, als die Stunden der Nacht dahinschwanden, als der blutende Kranke stöhnte und schwächer und schwächer wurde – und weder Hilfe noch der Tag wollte kommen. Immer wieder hatte ich das Wasser an Mr. Masons bleicheLippen geführt, fortwährend hatte ich ihm das stärkende Riechsalz geboten, aber all mein Bemühen schien erfolglos. Körperliche Schmerzen, seelische Leiden oder der Blutverlust – oder diese drei zusammen ließen seine Kräfte schnell dahinschwinden. Er stöhnte und sah so schwach, verwirrt und verloren aus, dass ich fürchtete, er würde sterben. Und es war mir nicht einmal gestattet, zu ihm zu sprechen!
    Schließlich war das Licht zu Ende gebrannt und erlosch. Bei seinem letzten Aufflackern bemerkte ich, dass graue Streifen auf den Fenstervorhängen spielten – der Tagesanbruch war also nicht mehr fern. Und jetzt vernahm ich auch Pilots fernes Bellen, das aus einer Hundehütte im Hof zu mir heraufdrang, und ich bekam neue Hoffnung. Sie war nicht vergeblich, denn nach fünf Minuten wurde der Schlüssel im Schloss gedreht, die Tür wurde geöffnet, und meine Nachtwache hatte ein Ende. Sie konnte kaum mehr als zwei Stunden gedauert haben, aber manche Woche hatte mich kürzer gedünkt, als diese Nachtstunden.
    Mr. Rochester trat ein und mit ihm der Arzt, welchen er herbeigeholt hatte.
    »Strengen Sie sich an, Carter«, sagte er zu diesem. »Sie haben nur eine halbe Stunde, um die Wunde zu untersuchen, einen Verband anzulegen und den Patienten nach unten zu bringen.«
    »Kann er denn transportiert werden, Sir?«
    »Ohne Zweifel! Es ist durchaus keine ernstliche Verwundung, er ist nur sehr nervös, man muss ihn aufzurütteln suchen. Schnell, schnell, walten Sie Ihres Amtes.«
    Mr. Rochester zog die dicken Fenstervorhänge zur Seite, zog die holländische Jalousie auf und ließ so viel Tageslicht wie möglich ins Zimmer fallen. Wie froh und überrascht war ich zu sehen, dass die Morgendämmerung schon so weit fortgeschritten war und rosige Streifen den östlichen Horizont zu färben begannen. Dann trat Mr. Rochester zu seinem Gast, den der Arzt bereits untersuchte.
    »Nun, alter Junge, wie geht’s?«, fragte er heiter.
    »Ich fürchte, sie hat mit mir ein Ende gemacht«, lautete die mit schwacher Stimme gegebene Antwort.
    »Ach Unsinn, nur Mut! In vierzehn Tagen wirst du die ganze Sache bereits vergessen haben. Du hast ein wenig Blut verloren – das ist alles. Carter, versichern Sie ihm doch, dass nicht die mindeste Gefahr vorhanden ist!«
    »Das kann ich mit bestem Gewissen tun«, sagte Carter, welcher jetzt den Verband abgenommen hatte. »Ich wünschte nur, ich wäre früher zur Stelle gewesen; er hätte dann nicht so viel Blut verloren. Aber was ist das denn hier? Das Fleisch hier auf der Schulter ist ja nicht nur zerschnitten, es ist förmlich zerrissen! Diese Wunde rührt nicht von einem Messer her: Hier haben Zähne gewütet!«
    »Sie hat mich gebissen«, murmelte Mason. »Als Rochester ihr das Messer entrissen hatte, setzte sie mir wie eine Tigerin zu.«
    »Du hättest nicht nachgeben sollen, du hättest sofort mit ihr kämpfen müssen«, sagte Mr. Rochester.
    »Aber was blieb mir unter solchen Umständen denn übrig?«, entgegnete Mason. »Oh, es war fürchterlich,

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