Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)
fürchterlich!«, fügte er schaudernd hinzu. »Und ich war gar nicht darauf gefasst, denn anfangs sah sie so ruhig und vernünftig aus.«
»Ich habe dich gewarnt«, lautete die Antwort seines Freundes. »Ich sagte dir: Sei auf der Hut, wenn du ihr nahe kommst! Außerdem hättest du bis zum Morgen warten können, damit ich dich begleitete. Es war eine grenzenlose Torheit, die Unterredung schon am Abend und auch noch allein zu unternehmen.«
»Ich glaubte, ich würde etwas Gutes damit bewirken.«
»Du glaubtest, du glaubtest! Wahrhaftig, es macht mich ganz ärgerlich, dir zuzuhören. Aber, du hast jedenfalls gebüßt und wirst wahrscheinlich noch mehr dafür büßen müssen, dass du meinen Rat nicht befolgt hast. Deshalb willich dir keine Vorwürfe mehr machen. – Carter, beeilen Sie sich, beeilen Sie sich! Die Sonne wird bald aufgehen, und ich muss ihn fort haben!«
»Gleich, Sir, gleich! Die Schulter ist bereits verbunden. Jetzt muss ich diese zweite Wunde hier am Arm untersuchen. Wie es scheint, hatte sie ihre Zähne auch hier.«
»Sie sog das Blut heraus; sie sagte, sie wolle mein Herz trockenlegen«, sagte Mason.
Ich sah, wie Mr. Rochester schauderte. Ein seltsamer Ausdruck von Ekel, Entsetzen und Hass verzerrte sein Gesicht fast bis zur Unkenntlichkeit, aber er sagte nur:
»Komm Richard, schweig jetzt und kümmere dich nicht um ihr Geschwätz! Wiederhole es wenigstens nicht noch!«
»Ach, ich wollte, ich wäre imstande, es zu vergessen«, lautete die müde Antwort.
»Du wirst es, wenn du dieses Land erst im Rücken hast. Wenn du nach Spanish Town zurückgekehrt bist, dann stell dir vor, dass sie tot und begraben ist – oder besser noch, du denkst überhaupt nicht mehr an sie.«
»Unmöglich, diese Nacht zu vergessen!«
»Es ist
nicht
unmöglich! Mensch, zeig doch ein wenig Energie! Vor zwei Stunden meintest du noch, du seist so tot wie ein Hering, und jetzt lebst du noch und redest so lebendig wie ich. Siehst du! Carter ist jetzt auch beinahe fertig mit dem Verbinden. Und nun will ich dich noch schnell herrichten. – Jane …«, dies war das erste Wort, das er seit seiner Rückkehr mit mir sprach, »… Jane, nehmen Sie diesen Schlüssel: Gehen Sie hinunter in mein Schlafzimmer und von dort geradewegs in mein Ankleidezimmer. Öffnen Sie die obere Schublade der Kommode und nehmen Sie ein sauberes Hemd und ein Halstuch heraus. Beides bringen Sie her. Aber beeilen Sie sich!«
Ich ging, suchte das erwähnte Möbelstück, fand die genannten Gegenstände und kam mit ihnen ins dritte Stockwerk zurück.
»Nun gehen Sie an die andere Seite des Bettes, während ich ihm beim Ankleiden helfe«, sagte Mr. Rochester. »Aber verlassen Sie das Zimmer nicht; es ist möglich, dass ich Ihrer Hilfe noch einmal bedarf.«
Ich zog mich hinter das große Himmelbett zurück, wie mein Herr mir befohlen hatte.
»War in den unteren Etagen schon jemand auf den Beinen, als Sie hinunterkamen, Jane?«, fragte dieser bald darauf.
»Nein, Sir, alles war still.«
»Wir werden dich bequem und ungesehen fortbringen, Dick. Und das wird das Beste sein, sowohl für dich wie für das arme Geschöpf da hinten. Ich habe so lange gekämpft, um eine Bloßstellung zu vermeiden, und ich möchte nicht, dass sie nun doch noch eintritt. Hier Carter, helfen Sie ihm ein wenig mit seiner Weste. Wohin hast du deinen Pelzmantel getan? In diesem verdammten kalten Klima kannst du nicht eine halbe Meile ohne denselben reisen, das weiß ich. In deinem Zimmer? – Jane, laufen Sie hinunter in Mr. Masons Zimmer, es stößt direkt an meines, und bringen Sie den Mantel, welchen Sie dort finden werden.«
Wiederum lief ich fort und kehrte mit einem ungewöhnlich großen Mantel zurück, der mit Pelz gefüttert und verbrämt war.
»So, jetzt habe ich noch einen Auftrag für Sie«, sagte mein unermüdlicher Brotherr. »Sie müssen noch einmal hinunter in mein Zimmer laufen. Welch ein Glück, Jane, dass Sie mit Samt beschuht sind; ein Bote mit Holzpantoffeln würde bei dieser Gelegenheit kaum zu verwenden sein. Sie müssen die mittlere Schublade meines Toilettentisches öffnen und ein kleines Fläschchen und ein Glas, welche Sie dort finden werden, herausnehmen. Bringen Sie mir diese schnell!«
Ich flog hinunter und wieder herauf und brachte die gewünschten Dinge.
»So ist’s gut! Jetzt, Doktor, werde ich mir die Freiheit erlauben, ihm selbst eine Dosis zu verabreichen, auf meine eigene Verantwortung. Ich habe dieses Stärkungsmittel von einem
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