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Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Titel: Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Brontë
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und, Richard, es geht um dein Leben, wenn du mit ihr sprichst! Öffnest du auch nur die Lippen, regst du dich auf, so kann niemand für die Folgen stehen!«
    Wieder stöhnte der arme Mensch. Er sah aus, als wage er nicht, sich zu bewegen; die Furcht vor dem Tod oder vor etwas anderem Entsetzlichen schien ihn fast zu lähmen. Mr. Rochester reichte mir den von Blut durchtränkten Schwamm, und ich fuhr fort, ihn zu benutzen, wie er es getan hatte. Er beobachtete mich eine Weile, dann sagte er: »Vergessen Sie nicht: Jede Unterhaltung ist verboten!« Gleich darauf verließ er das Zimmer. Ein seltsames Gefühl überkam mich, als ich hörte, wie er den Schlüssel im Schloss drehte und seine Schritte dann in dem langen Korridor verhallten.
    Nun befand ich mich also in der dritten Etage, eingeschlossen in eine jener geheimnisvollen Zellen, schwarze Nacht um mich herum. Vor meinen Augen, unter meinen Händen eine bleiche, blutige Gestalt; von einer Mörderin nur durch eine einzige, schwache Tür getrennt. Ja, dies Letzte war fürchterlich! Das Übrige vermochte ich noch zu ertragen, aber ich schauderte bei dem Gedanken, dass Grace Poole sich auf mich stürzen könnte.
    Ich musste indessen auf meinem Posten ausharren. Ich musste dieses geisterbleiche Gesicht betrachten, diese blauen, stillen Lippen, die sich nicht öffnen durften, diese Augen, die sich bald öffneten, bald schlossen, suchend im Zimmer umherwanderten, dann forschend auf mir ruhten und immer noch einen entsetzlichen Schrecken widerspiegelten. Immer wieder musste ich meine Hand in die Schüssel voll Blut und Wasser tauchen, um das austretende Blut abzuwischen. Ich musste das Licht über meiner traurigen Beschäftigung tief herabbrennen sehen; die Schatten auf den alten Gobelins wurden dunkler, die Vorhänge des massiven, großen Bettes wurden düsterer. Seltsame Schatten spielten auf einem alten Schrank, dessen Türen in prächtiger Schnitzerei die Köpfe der zwölf Apostel trugen, während sich auf der oberen Kante des alten Möbelstücks ein Kruzifix mit einem sterbenden Christus von Ebenholz erhob.
    Je nach der im flackernden Kerzenschein wechselnden Dunkelheit trat bald der bärtige Arzt Lukas mit gerunzelter Stirn, bald der heilige Johannes mit wallendem Haar und bald das teuflische Gesicht des Judas aus dem Rahmen hervor und schien Leben anzunehmen – die Wiederkehr Satans in seinem Stellvertreter, dem Erzverräter.
    Und während dieser ganzen Zeit musste ich auf die Bewegungen des wilden Tieres oder des Teufels in der angrenzenden Zelle lauschen. Seit dem Besuch Mr. Rochesters in jenem Gemach schien das Wesen indessen gebannt. Während der ganzen Nacht hörte ich in langen Abständen nur dreimal ein Geräusch – einen knarrenden Schritt, eine kurze Wiederholung jener eigentümlich Laute, die an das Knurren eines Hundes erinnerten, und ein tiefes, menschliches Stöhnen.
    Nun begannen meine eigenen Gedanken mich zu quälen: Was für ein Mensch gewordenes Verbrechen war es, das in diesem Haus abgesondert lebte, und welches der Besitzer weder zu bezwingen noch zu verbannen imstande war? Welch ein Geheimnis war es, das sich in der Stille der Nacht einmal in Feuer, ein anderes Mal in Blut offenbarte? Was für ein Geschöpf war es, das die Gestalt und das Gesicht eines gewöhnlichen Weibes trug und bald die Töne eines spöttischen Dämons, bald die eines beutegierigen Raubvogels ausstieß?
    Und dieser Mann, über den ich mich beugte, dieser gewöhnliche, stille Fremde – wie war er in dieses Schreckensgewebe verwickelt? Weshalb hatte jene Furie sich auf ihn gestürzt, was hatte ihn veranlasst, diesen Teil des Hauses zu einer so ungewöhnlichen Zeit aufzusuchen, wenn er ruhig in tiefem Schlaf im Bett hätte liegen sollen? Ich hatte doch gehört, dass Mr. Rochester ihm im unteren Stockwerk ein Gemach angewiesen hatte – was hatte ihn denn hierher gebracht? Und weshalb war er jetzt so zahm nach der Gewalt oder dem Verrat, welchen man ihm angetan hatte? Weshalbunterwarf er sich so geduldig der Geheimhaltung, welche Mr. Rochester gebieterisch verlangt hatte?
Warum
hat Mr. Rochester überhaupt diese Geheimhaltung befohlen? Seinen Gast hatte man auf die empörendste Weise behandelt; bei einer früheren Gelegenheit hatte man ihm selbst abscheulich nach dem Leben getrachtet – und diese beiden Anschläge hüllte er in ein Geheimnis und suchte, sie in Vergessen zu begraben? Und schließlich sah ich auch, dass Mr. Mason sich vollständig dem Willen Mr. Rochesters

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