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Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Titel: Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Brontë
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unerträglich bitter, die andere verabscheuungswürdig und reizlos geworden. Gefühl ohne Vernunft ist in der Tat ein wässriges Getränk; aber Vernunft, die nicht durch Gefühl gemildert wird, ist ein vollends zu bitterer und rauer Bissen, als dass ein Mensch ihn schlucken könnte.
    Es war ein feuchter und windiger Nachmittag. Georgiana war beim Lesen eines Romans auf dem Sofa eingeschlafen; Eliza war gegangen, um in der neuen Kirche einem Gottesdienst zu Ehren irgendeines Heiligen beizuwohnen, denn in Religionsdingen hielt sie sich strengstens an die Formen: Kein Wetter konnte sie jemals an der Ausübung dessen hindern, was sie für ihre kirchlichen Pflichten hielt. Ob Sonne, ob Regen – sie ging an jedem Sonntag dreimal in die Kirche, und wochentags ging sie, wann immer es eine Andacht gab.
    Ich überlegte, nach oben zu gehen, um nach der sterbendenFrau zu sehen, die beinahe unbeachtet in ihrem Zimmer lag. Ihre eigenen Dienstboten erwiesen ihr eine nur sehr kärgliche Aufmerksamkeit, und die gemietete Krankenwärterin, welche in keiner Weise kontrolliert wurde, entwischte aus dem Zimmer, so oft sie konnte. Bessie war zwar treu, aber sie musste sich auch um ihre eigene Familie kümmern und konnte nur gelegentlich zum Herrenhaus kommen. Ich fand das Krankenzimmer unbehütet, wie ich es nicht anders erwartet hatte – keine Wärterin war dort, die Patientin lag still in Lethargie, ihr bleiches Gesicht war in die Kissen zurückgesunken, und im Kamin war das Feuer dem Verlöschen nahe. Ich erneuerte den Brennstoff, ordnete die Betten und ließ meine Blicke eine Weile auf der Gestalt ruhen, welche mich jetzt nicht ansehen konnte. Dann trat ich ans Fenster.
    Der Regen schlug heftig gegen die Scheiben, der Wind blies stürmisch. Da dachte ich: ›Hier liegt nun eine, die bald über alle Kämpfe der irdischen Elemente hinweg sein wird. Und wohin wird jener Geist, der sich jetzt aus seiner körperlichen Hülle losringt, fliegen, wenn er sich endlich befreit hat?‹
    Als ich über dieses große Mysterium nachgrübelte, fiel mir Helen Burns ein und ihre letzten Worte kehrten in mein Gedächtnis zurück, ihr Glaube und ihre Lehre von der Gleichheit aller körperlosen Seelen. Noch hörte ich im Geiste ihre unvergessliche Stimme, ich rief mir ihr bleiches, vergeistigtes Gesicht, ihre schmerzerfüllten Züge und ihren erhabenen Blick zurück, wie sie so still auf ihrem Sterbebett lag. Noch hörte ich ihren sehnsüchtig geflüsterten Wunsch, in den Schoß des allmächtigen Vaters zurückkehren zu dürfen – als eine schwache Stimme vom Bett her murmelte:
    »Wer ist da?«
    Ich wusste, dass Mrs. Reed schon tagelang nicht mehr gesprochen hatte. Kehrte sie denn zum Leben zurück? Ich ging zu ihr. »Ich bin es, Tante Reed.«
    »Wer – ich?«, lautete ihre Antwort. »Wer bist du?« Sie blickte mich erstaunt und ein wenig erschrocken, aber doch nicht wirr an. »Du bist mir ja ganz fremd – wo ist Bessie?«
    »Sie ist im Pförtnerhaus, Tante.«
    »Tante!«, wiederholte sie. »Wer nennt mich Tante? Du bist keine von den Gibsons, und doch kenne ich dich – das Gesicht, die Augen und die Stirn sind mir vertraut; du siehst aus wie … warum, du bist wie Jane Eyre!«
    Ich schwieg: Ich fürchtete, einen Schock herbeizuführen, wenn ich mich zu erkennen gab.
    »Und doch«, sagte sie, »nehme ich an, dass ich mich irre. Meine Vorstellungen täuschen mich. Ich wünschte Jane Eyre zu sehen, und jetzt finde ich eine Ähnlichkeit, wo keine existiert. Außerdem muss sie sich doch während dieser acht Jahre verändert haben!«
    Sanft und vorsichtig erklärte ich ihr nun doch, dass ich die Person sei, welche sie vermutete und welche sie zu sehen wünschte, und als ich bemerkte, dass sie mich verstand und dass sie vollständig bei Sinnen war, teilte ich ihr mit, dass Bessie ihren Mann nach Thornfield geschickt habe, um mich nach Gateshead zu holen.
    »Ich weiß, dass ich sehr krank bin«, sagte sie nach einer Weile. »Vor ein paar Minuten versuchte ich, mich im Bett umzudrehen und fühlte, dass ich kein Glied mehr rühren kann. Es wäre gut, wenn ich mein Gemüt erleichtern könnte, bevor ich sterbe. Was uns wenig zu denken gibt, wenn wir gesund sind, lastet schwer auf uns in einer Stunde, wie diese es für mich ist. Wärterin, sind Sie da? Oder ist außer dir noch jemand im Zimmer?«
    Ich versicherte ihr, dass wir allein seien.
    »Nun, ich habe dir zweimal ein Unrecht zugefügt, das ich jetzt bereue. Das eine war, dass ich das Versprechen brach,

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