Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)
welches ich meinem Mann gegeben hatte, dich stets wie mein eigenes Kind halten zu wollen. – Das andere …«, hier hielt sie inne. »Nun, vielleicht ist es doch von keiner so großenBedeutung«, murmelte sie vor sich hin, »und vielleicht werde ich wieder gesund, und dann wäre der Gedanke schrecklich, mich so vor ihr gedemütigt zu haben.«
Sie machte eine Anstrengung, ihre Lage zu verändern, aber es gelang ihr nicht. Ihr Gesicht veränderte sich, sie schien eine innere Bewegung zu spüren – vielleicht die Vorboten des letzten Kampfes.
»Nun, ich muss es hinter mich bringen. Die Ewigkeit liegt vor mir: Es ist doch besser, wenn ich es ihr sage. Geh an meinen Toilettenkasten, öffne ihn und nimm den Brief heraus, den du dort finden wirst.«
Ich folgte ihrer Anweisung. »Lies den Brief«, sagte sie. Er war kurz und enthielt Folgendes:
»Madam ,
wollen Sie die Güte haben, mir die Adresse meiner Nichte Jane Eyre zu schicken und mir mitzuteilen, wie es ihr geht? Es ist meine Absicht, ihr demnächst zu schreiben und sie aufzufordern, zu mir nach Madeira zu kommen. Die Vorsehung hat meine Bemühungen mit Erfolg gekrönt, und ich habe ein gutes Auskommen. Da ich unverheiratet und kinderlos bin, so bin ich gewillt, sie noch bei Lebzeiten zu adoptieren und ihr bei meinem Tode alles zu hinterlassen, worüber ich verfügen kann. Der Ihre, Madam , u.s.w. , u.s.w . John Eyre, Madeira.«
Der Brief war vor drei Jahren geschrieben.
»Weshalb ist mir dies niemals mitgeteilt worden?«, fragte ich.
»Weil ich dich zu sehr und zu unabänderlich verabscheute, um die Hand dazu zu leihen, dass du zu Wohlstand kommst. Ich konnte dein Betragen gegen mich nicht vergessen, Jane, die Wut nicht vergessen, mit welcher du dich einst gegen mich gewandt hast; den Ton nicht, in welchem du mir erklärt hast, dass du mich mehr hasstest als irgendjemand auf der Welt; die unkindliche Stimme nicht und nichtden unnatürlichen Blick, mit dem du gesagt hast, dass der bloße Gedanke an mich dich krank mache, mit dem du behauptetest, dass ich dich mit Grausamkeit behandelt hätte. Ich konnte meine eigenen Empfindungen nicht vergessen, als du damals aufsprangst und all das Gift deiner Seele über mich ausgossest: Ich hatte Furcht empfunden – als ob ein Tier, das ich gestoßen oder geschlagen hatte, mich plötzlich mit menschlichen Augen angesehen und mich mit einer menschlichen Stimme verflucht hätte. – Bring mir Wasser! Oh, beeile dich!«
»Liebe Mrs. Reed!«, sagte ich, während ich ihr den gewünschten Trank reichte, »denken Sie nicht mehr an all diese Dinge, schlagen Sie sie sich aus dem Sinn. Verzeihen Sie mir meine leidenschaftliche Sprache: Ich war damals ein Kind; acht, fast neun Jahre sind seit jenem Tage vergangen.«
Sie beachtete meine Worte nicht. Als sie aber das Wasser getrunken und tief Atem geholt hatte, fuhr sie folgendermaßen fort: »Ich sage dir, ich konnte es nicht vergessen und ich suchte meine Rache. Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass dein Onkel dich adoptieren und dich damit zu Glück und Wohlstand gelangen lassen wollte. Ich schrieb an ihn. Ich sagte, dass es mir leid täte um den Kummer, den ich ihm bereiten müsse, aber Jane Eyre sei tot, sie sei in Lowood am Typhus gestorben. Jetzt magst du tun, was dich gut dünkt; schreib ihm und widersprich meinen Angaben, decke meine Lüge auf, wann immer du willst. Ich glaube, du warst nur mir zur Qual geboren; meine letzte Stunde wird durch die Erinnerung an eine Tat gemartert, welche ich niemals begangen, wenn es sich dabei nicht um dich gehandelt hätte.«
»Wenn ich dich doch nur überreden könnte, Tante Reed, nicht mehr an diese Angelegenheit zu denken und mich mit Freundlichkeit und Vergebung anzusehen …«
»Du hast einen sehr schlechten Charakter«, sagte sie, »und dazu einen, den ich bis auf den heutigen Tag nichtbegreifen kann. Ich werde es nie verstehen, wie du über neun Jahre jede schlechte Behandlung ruhig und geduldig hinnehmen konntest, um im zehnten in Wut und Heftigkeit auszubrechen.«
»Mein Charakter ist nicht so schlecht, wie Sie glauben, Tante Reed, ich bin leidenschaftlich, aber nicht rachsüchtig. Als ich ein kleines Kind war, wäre ich glücklich gewesen, wenn Sie sich von mir hätten lieben lassen wollen, und jetzt sehne ich mich von ganzem Herzen nach einer Versöhnung. Geben Sie mir einen Kuss, Tante!«
Ich näherte meine Wange ihren Lippen, aber sie berührte sie nicht. Sie sagte, ich würde sie einengen, wenn ich mich
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