Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)
um Sie zufriedenzustellen. Wenn Sie sich dann aber ganz an mich gewöhnt haben, so werden Sie mich vielleicht wieder lieb haben –
lieb haben
sage ich, nicht
lieben
. Ich vermute, dass Ihre Liebe in sechs Monaten oder in vielleicht noch kürzerer Zeit dahinschwinden wird. In Büchern, welche von Männern geschrieben sind, wird dies als Zeitspanne genannt, über welche sich die Liebe eines Mannes im besten Fall erstrecken kann. Als Freundin und Begleiterin hoffe ich aber, meinem teuren Herrn niemals ganz zuwider zu werden.«
»›Niemals ganz zuwider‹! Und ›wieder lieb haben‹! Ichglaube, dass ich dich immer und immer wieder lieb haben werde, und du wirst mir eines Tages gestehen müssen, dass ich dich nicht nur
lieb habe
, sondern dich wahrhaft, leidenschaftlich und beständig
liebe
.«
»Und sind Sie nicht launenhaft, Sir?«
»Frauen gegenüber, an denen mir nichts gefällt als ihr Gesicht, bin ich ein wahrer Teufel, wenn ich herausfinde, dass sie weder Herz noch Seele haben – da reichen kleine Anzeichen von Flachheit, Gewöhnlichkeit, Beschränktheit oder Übellaunigkeit aus. Aber für ein klares Auge und eine beredte Zunge, für eine feurige Seele und einen Charakter, der sich wohl beugt, aber nicht bricht – der zugleich biegsam, stark und beständig und doch leicht zu behandeln ist –, für diese bin ich stets treu und wahr.«
»Haben Sie einen solchen Charakter je kennengelernt, Sir? Haben Sie einen solchen geliebt?«
»Ich liebe ihn jetzt.«
»Und früher, vor mir? Wenn ich überhaupt einem so strengen Urteil standhalten kann …«
»Ich habe niemals deinesgleichen gefunden. Jane, du gefällst mir, und du beherrschst mich – du scheinst dich zu unterwerfen, und ich bewundere die Schmiegsamkeit an dir; und während ich die weiche Seide um meinen Finger wickle, macht sie mein Herz erbeben. Ich bin beeinflusst, besiegt, und dieser Einfluss ist süßer, als ich sagen kann; und der Sieg, dem ich mich unterwerfen muss, ist bezaubernder als irgendein Triumph, den ich erringen könnte. Weshalb lächelst du, Jane? Was hat dieser unerklärliche, unheimliche Wechsel des Gesichtsausdrucks zu bedeuten?«
»Ich dachte, Sir, und verzeihen Sie den unwillkürlichen Gedankengang, ich dachte gerade an Herkules und Samson und ihre Bezwingerinnen …«
»Wirklich, du kleine Elfe …«
»Still, Sir! Sie sprechen in diesem Augenblick nicht sehr weise, nicht viel weiser als jene beiden Herren handelten.Indes, wenn sie verheiratet gewesen wären, so würden sie ohne Zweifel durch ihre Strenge als Ehegatten ihre Torheit als Bewerber wiedergutgemacht haben, und ich fürchte, auch Sie werden das tun. Ich möchte nur wissen, wie Sie mir nach Ablauf eines Jahres antworten werden, wenn ich Sie um einen Dienst oder eine Gefälligkeit bitten sollte, deren Gewährung Ihnen nicht angenehm ist.«
»Bitte mich jetzt um etwas, Janet – was immer du willst: Ich sehne mich danach, um etwas gebeten zu werden …«
»Gewiss, Sir, das werde ich. Ich habe schon eine Bitte parat.«
»Sprich! Wenn du aber aufblickst und mich mit solchem Ausdruck anlächelst, so schwöre ich dir Erfüllung deiner Bitte, noch bevor ich sie kenne, und das würde mich zum Toren machen.«
»Durchaus nicht, Sir. Ich erbitte nur dieses: Lassen Sie die Juwelen nicht kommen und bekränzen Sie mich nicht mit Rosen. Das wäre ja gerade so, als wenn Sie jenes einfache Taschentuch dort in Ihrer Hand mit goldener Spitze umrändern wollten.«
»Ebenso gut könnte ich echtes Gold vergolden, das weiß ich wohl. Deine Bitte sei dir also gewährt – für den Augenblick wenigstens. Ich werde die Order, die ich meinem Bankier erteilt habe, widerrufen. Aber du hast noch immer nichts erbeten; du hast nur gebeten, dass man ein Geschenk zurückziehe. Versuche es also noch einmal.«
»Nun Sir, so haben Sie denn die Güte, meine Neugier zu befriedigen, die in Bezug auf einen gewissen Punkt sehr rege geworden ist.«
Er sah verdutzt aus. »Was ist es? Was kann das sein?«, fragte er hastig. »Die Neugier ist eine gefährliche Bittstellerin. Es ist nur ein Glück, dass ich nicht geschworen habe, jede Bitte zu erfüllen …«
»Es kann aber nicht gefährlich sein, wenn Sie diese hier erfüllen, Sir.«
»So sprich sie aus, Jane. Aber ich hätte lieber, dass du mich um die Hälfte meines Besitztums bitten würdest, als dass du versuchtest, ein Geheimnis zu erfragen.«
»Aber König Ahasver, was könnte mir denn die Hälfte deines Besitztums nützen? Meinen Sie, dass ich
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