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Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Titel: Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Brontë
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hinaus und schloss sie leise wieder hinter mir. Trübe Dämmerung lag über den Hof gebreitet. Die großen Tore waren verschlossen, aber eine Seitenpforte in einem der Tore war nur eingeklinkt. Durch diese ging ich hinaus, dann schloss ich auch sie. Jetzt lag Thornfield hinter mir.
    Eine Meile von hier zog sich hinter den Feldern eine Straße hin, welche in die entgegengesetzte Richtung von Millcote führte; eine Straße, auf der ich noch niemals gefahren war, die ich aber bemerkt hatte und bei deren Anblick ich mich oft verwundert gefragt hatte, wohin sie wohl führen möge. Dorthin lenkte ich meine Schritte. Jetzt durfte ich keinem Nachdenken Raum geben; keinen Blick durfte ich zurückwerfen oder in die Zukunft tun, nicht einen Gedanken durfte ich der Vergangenheit oder der Zukunft weihen. Erstere war ein Blatt im Buch des Schicksals, so himmlisch süß und so tödlich bitter, dass es all meinen Mut erschüttern und meine Energie vernichten würde, wenn ich auch nur eine Zeile davon lesen wollte. Letztere war eine grauenhafte Leere, der Erde nach der Sintflut gleich.
    Ich ging an Feldern entlang, an Hecken und Feldwegen, bis die Sonne aufgegangen war. Ich glaube, es war ein lieblicher Sommermorgen. Ich weiß noch, dass meine Schuhe, welche ich erst angezogen hatte, als ich das Haus verlassen hatte, bald von Tau durchtränkt waren. Aber ich blickte weder zur Sonne empor, noch zu dem lächelnden Himmel, noch herab auf die erwachende Natur. Der Mensch, der auf einem schönen Weg zum Schafott schreitet, denkt nicht an die Blumen, die am Rand wachsen, sondern nur an den Block und das Beil, an die Trennung von Leib und Seele und an das gähnende Grab, das seiner harrt. Ich dachte an die traurige Flucht und an das heimatlose Umherwandern – und ach!, mit Qual dachte ich an das, was ich zurückgelassen hatte. Ich konnte nicht anders. Ich dachte jetzt an ihn, wie er ruhelos in seinem Zimmer hin- und herwanderte und auf den Sonnenaufgang wartete. Wie er hoffte, dass ich bald kommen und ihm sagen würde, dass ich bei ihm bleiben und die Seine werden wolle. Ich sehnte mich danach, ihm anzugehören; ich war in Versuchung, zu ihm zurückzukehren: Noch war es nicht zu spät. Noch konnte ich ihm den bitteren Schmerz der Trennung ersparen. Ganz gewiss,noch war meine Flucht nicht entdeckt, noch konnte ich zurückgehen und seine Trösterin sein – sein Stolz, seine Erlöserin aus tiefem Elend, vielleicht seine Retterin vor dem Verderben. Oh, jene Furcht vor seiner Vereinsamung – viel schlimmer als meine eigene – wie sie mich marterte! Es war ein vergifteter Pfeil in meiner Brust, der mir alles zerriss, wenn ich versuchte, ihn herauszuziehen; er tötete mich fast, als die Erinnerung ihn mir noch weiter, bis zum Sitz alles Lebens hineinstieß! – In Feld und Busch begannen die Vögel zu singen; die Vögel waren einander treu, Vögel waren das Sinnbild der Liebe. Aber was war ich? Inmitten meiner Herzensqual, meiner verzweifelten Anstrengung, meinen Grundsätzen treu zu bleiben, verabscheute ich mich selbst. Ich hatte meinen Herrn beleidigt, gekränkt, verwundet und verlassen! Ich erschien mir selbst hassenswert. Und doch konnte ich nicht umkehren, nicht einen einzigen Schritt zurück tun. Gott muss mich weitergeführt haben. Leidenschaftlicher Kummer hatte meinen eigenen Willen vernichtet und mein Gewissen zum Schweigen gebracht. Ich vergoss wilde, heiße Tränen, als ich auf meinem einsamen Weg dahinschritt. Ich ging schnell, schnell wie ein Fieberkranker. Eine Schwäche, die von innen heraus kam und sich meiner Glieder bemächtigte, befiel mich und warf mich zu Boden. Dort lag ich einige Minuten und drückte mein Gesicht in das nasse Gras. Ich hegte die Furcht – oder vielmehr die Hoffnung, dass ich hier liegen bleiben und sterben würde. Aber bald war ich wieder auf und kroch auf Händen und Füßen vorwärts. Endlich stand ich wieder auf den Füßen – fest entschlossen und begierig, die Landstraße schließlich zu erreichen.
    Als ich sie erreichte, war ich gezwungen, mich zu setzen und unter einer Hecke auszuruhen. Wie ich so dasaß, vernahm ich das Geräusch von Rädern und sah einen Wagen des Weges kommen. Ich stand auf und winkte mit der Hand. Der Wagen hielt an. Ich fragte, wohin er fahrenwürde. Der Kutscher nannte einen weit entfernten Ort, von dem ich bestimmt wusste, dass Mr. Rochester dort keine Verbindungen hatte. Ich fragte, für welche Summe er mich dorthin mitnehmen würde, und er antwortete: für dreißig

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