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Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Titel: Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Brontë
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Schillinge. Ich entgegnete ihm, dass ich nur zwanzig besäße. Nun, er wolle sehen, ob er es nicht auch dafür tun könne. Dann erlaubte er mir noch, mich in das Innere des Wagens zu setzen, da er leer war. Ich stieg ein. Die Tür wurde zugeschlagen, und ich rollte fort.
    Mein lieber Leser, mögest du niemals empfinden, was ich damals empfand. Mögen deine Augen niemals so stürmische, sengende, blutige Tränen vergießen, wie sie damals meinen Augen entquollen. Mögest du niemals den Himmel anflehen in Gebeten, die so hoffnungslos und so todesbetrübt sind, wie sie in jener Stunde von meinen Lippen kamen. Und mögest du niemals, wie ich es tat, fürchten, das Werkzeug zu werden, welches dem Menschen Böses zufügt, den du am meisten auf dieser Erde liebst.

Achtundzwanzigstes Kapitel
     
    Zwei Tage sind vorüber. Es ist ein Sommerabend, der Kutscher hat mich an einem Ort abgesetzt, der Whitcross heißt. Für die Summe, die ich ihm gezahlt hatte, wollte er mich nicht weiter mitnehmen, und ich besaß nicht einen einzigen Schilling mehr in dieser Welt. Jetzt ist die Kutsche schon eine ganze Meile weit fort, und ich bin allein. Plötzlich stelle ich fest, dass ich vergessen habe, mein Paket aus der Wagentasche zu nehmen, wohin ich es der größeren Sicherheit wegen gesteckt hatte. Dort bleibt es nun, dort muss es bleiben – und ich bin vollständig mittellos.
    Whitcross ist keine Stadt, nicht einmal ein Marktflecken: Es ist nur ein steinerner Pfeiler, welcher dort aufgerichtet ist, wo vier Wege sich kreuzen; weiß angestrichen, damit eraus der Ferne und in der Dunkelheit besser zu erkennen ist, wie ich vermute. Vier Arme gehen von seiner oberen Spitze aus; die nächstgelegene Stadt, zu welcher diese zeigen, ist der Inschrift nach noch zehn Meilen von hier entfernt, die am weitesten entfernte mehr als zwanzig. Durch die wohlbekannten Namen dieser Städte erfahre ich, in welcher Grafschaft ich ausgestiegen bin. Eine Grafschaft der nördlichen Midlands mit düsteren Mooren, von Bergen eingerahmt: All dies sehe ich. Hinter mir und zu beiden Seiten sind große Torfmoore, hinter jenem tiefen Tal zu meinen Füßen ziehen sich hohe Bergketten hin. Die Gegend hier ist nur spärlich besiedelt. Ich sehe weder Fußgänger noch Reiter auf diesen Straßen, die sich hell, breit und einsam nach Norden, Osten, Süden und Westen erstrecken; über das Moor gelegt und vom Heidekraut wild und üppig umstanden. Und doch könnte zufällig ein Fußgänger vorüberkommen, und ich möchte keinem fremden Auge begegnen. Man würde verwundert fragen, was ich hier tue, an den Wegweiser gelehnt, augenscheinlich ohne Ziel und verloren. Würde man mich fragen, so hätte ich nur Antworten, die unglaubwürdig klängen, und dann würde ich Argwohn erwecken. Kein einziges Band verknüpft mich in diesem Augenblick mit der menschlichen Gesellschaft – kein Reiz, keine Hoffnung ruft mich dorthin, wo meine Mitmenschen sind. Und niemand, der mich hier sähe, würde einen freundlichen Gedanken oder einen guten Wunsch für mich haben. Ich habe keinen Angehörigen außer unser aller Mutter, die Natur. Ich will mich an ihre Brust flüchten und um Ruhe bitten.
    Ich lief geradewegs durch die Heide, wobei ich mich in einer Bodensenke hielt, welche die braune Moorerde durchzog. Ich watete knietief durch die dunkle Vegetation und folgte allen Windungen der Senke, und als ich einen moosbewachsenen Granitfelsen in einem verborgenen Winkel fand, setzte ich mich. Hohe Moordämme umgaben mich,die Klippe beschützte mein Haupt. Und über all diesem war der Himmel.
    Es verging einige Zeit, bevor ich mich hier sicher fühlte. Ich hatte eine unbestimmte Furcht, dass wilde Viehherden in der Nähe sein könnten oder dass ein Jäger oder ein Wilddieb mich entdecken könne. Wenn ein Windstoß über die Fläche fegte, so blickte ich erschreckt empor und meinte, es könne ein Stier auf mich zustürmen; wenn ein Regenvogel pfiff, so glaubte ich, es seien menschliche Laute. Als ich indessen einsah, dass meine Befürchtungen unbegründet waren, und weil die tiefe Stille, welche beim Hereinbrechen der Nacht herrschte, mich beruhigte, fasste ich Vertrauen.
    Noch hatte ich nicht nachgedacht. Ich hatte nur gehorcht, gewacht und gefürchtet. Jetzt kehrte die Fähigkeit des Nachdenkens wieder.
    Was sollte ich beginnen, wohin gehen? O qualvolle, unerträgliche Fragen, wenn ich nichts beginnen, mich nirgendwohin wenden konnte! Wenn meine müden, zitternden Glieder noch einen langen, langen Weg

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