Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)
lag ich ganz still, der Nachtwind zog über den Hügel und über mich hinfort und erstarb ächzend in der Ferne. Der Regen fiel unablässig und durchnässte mich von Neuem bis auf die Haut. Wenn ich doch nur durch Frost hätte steif, durch einen freundlichen Tod hätte gefühllos werden können, so hätte es ruhig weiter auf mich herabrieseln mögen. Aber mein lebenswarmer Körper schauderte zusammen unter dem erkältenden Regen. Es dauerte nicht lange, und ich erhob mich wieder.
Das Licht war noch immer da, es schien trübe aber beständig durch den Regen. Ich versuchte wieder zu gehen und schleppte meine erschöpften Glieder langsam dem Schimmer entgegen. Er leitete mich quer über den Hügel durch einen weiten Sumpf, der im Winter unpassierbar gewesen wäre und selbst jetzt im Hochsommer nass und unsicher war. Hier fiel ich zweimal. Aber ebenso oft erhob ich mich wieder und nahm von Neuem den Rest meiner Kräfte zusammen. Dieses Licht war meine letzte Hoffnung: Ich musste dorthin gelangen.
Nachdem ich den Sumpf verlassen hatte, sah ich eineweiße Spur über das Moor führen. Ich näherte mich ihr, es war eine Straße oder ein Pfad, der direkt zu dem Licht hinführte, das mir jetzt aus einer Gruppe von Bäumen heraus von einer Art Hügel herab entgegenschien. Die Bäume waren, soweit ich dies in der Dunkelheit entscheiden konnte, Tannen. Als ich näher kam, verschwand mein Stern. Irgendein Hindernis war zwischen ihn und mich getreten. Ich streckte die Hand aus, um die dunkle Masse vor mir zu fühlen. Ich unterschied die rauen Steine einer niedrigen Mauer, darüber war etwas, das Palisaden glich, und dahinter erkannte ich eine hohe und dornige Hecke. Ich tastete mich weiter. Wieder leuchtete ein weißlicher Gegenstand vor mir; es war ein Tor, eine Pforte. Sie bewegte sich in ihren Angeln, als ich sie berührte. Zu jeder Seite stand ein schwarzer Busch – Stechpalme oder Eibe.
Als ich durch die Pforte trat und an den Büschen vorüberging, erhob sich die Silhouette eines Hauses vor meinen Blicken, schwarz, niedrig und ziemlich lang. Das rettende Licht schien aber nirgends mehr, alles war Dunkelheit. Hatten die Bewohner sich zur Ruhe begeben? Ich fürchtete, dass dies so wäre. Als ich die Tür suchte, kam ich um eine Ecke: Da schoss der freundliche Lichtstrahl wieder aus den länglichen Scheiben eines kleinen, vergitterten Fensters hervor, das nur einen Fuß hoch über dem Erdboden gelegen war. Es war durch die Ranken eines Efeus oder irgendeiner anderen Schlingpflanze verkleinert, deren Blätter den ganzen Teil des Hauses bedeckten, in welchem diese Fensteröffnung sich befand. Die Öffnung war so verwachsen und eng, dass man Vorhänge oder Fensterladen für unnötig erachtet hatte; und als ich mich hinabbeugte und die grünende Ranke beiseite schob, welche sie bedeckte, konnte ich alles sehen, was drinnen vorging. Ich sah deutlich ein Zimmer mit einem reinlichen, sandbestreuten Fußboden und einer Kredenz von Nussholz, auf welcher in langen Reihen Teller aus Zinn aufgestellt waren. Diese waren so blank, dass derGlanz und der rote Schein eines Torffeuers sich in ihnen spiegelte. Ich konnte eine Uhr sehen, einen weißen Tisch von Tannenholz und einige Stühle. Das Licht, dessen Strahl mein Leuchtturm gewesen war, brannte auf dem Tisch, und bei seinem Schein strickte eine ältliche Frau an einem Strumpf. Die Frau sah ein wenig derb, aber makellos sauber aus – wie überhaupt alles um sie herum.
Ich bemerkte diese Dinge nur flüchtig, denn es lag nichts Außergewöhnliches in ihnen. Am Herd saß eine Gruppe, die mich mehr interessierte, wie sie sich meinen Augen so von rosigem Frieden und behaglicher Wärme umflossen darbot. Es waren zwei junge, anmutige, weibliche Wesen – Damen in jeder Beziehung. Die eine saß in einem Schaukelstuhl, die andere auf einem niedrigen Schemel. Beide trugen Trauerkleider in Crêpe und Bombasin, und die düsteren Gewänder ließen ihre zarten Nacken und schönen Gesichter ganz besonders hervortreten. Ein großer, alter Vorstehhund hatte seinen Kopf auf die Knie des einen Mädchens gelegt, auf dem Schoß des anderen lag eine schwarze Katze.
Welch ein seltsamer Aufenthalt war diese bescheidene Küche für solche Insassen! Wer waren sie? Unmöglich konnten sie die Töchter jener ältlichen Person am Tisch sein, denn diese sah aus wie eine Bäuerin, und sie waren ganz Zartheit und Verfeinerung. Nirgends hatte ich Gesichter gesehen, welche ihren glichen – und doch, wenn ich sie
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