Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)
die Hände, und er ging.
Ich brauche wohl nicht alle Einzelheiten der weiteren Kämpfe, welche ich zu bestehen hatte, und der Argumente, die ich anführen musste, zu berichten, bis ich endlich die Angelegenheit der Erbschaft so geordnet hatte, wie ich es wünschte. Meine Aufgabe war eine sehr schwierige; da ich aber fest entschlossen war und da auch meine Verwandten endlich einsahen, dass es für mich unwiderruflich feststand, eine gerechte und gleichmäßige Teilung des Erbes vorzunehmen; da sie endlich in ihrem innersten Herzen wohl die Billigkeit dieser Absicht anerkannten und sich wohl auch klar bewusst waren, dass sie an meiner Stelle ebenso gehandelt haben würden, wie ich zu handeln wünschte – so gaben sie schließlich insoweit nach, dass sie einwilligten, die Sache einem Schiedsgericht zu unterbreiten. Die erwählten Richter waren Mr. Oliver und ein tüchtiger Rechtsanwalt; beide stimmten mit meiner Ansicht überein, und ich trug den Sieg davon. Die Akte der Übertragung wurden ausgefertigt. St. John, Diana, Mary und ich erhielten alle ein hinreichendes Auskommen.
Vierunddreißigstes Kapitel
Es war beinahe Weihnachten geworden, bis alles geordnet war, und die Ferienzeit rückte näher. Ich schloss die Schule von Morton und trug Sorge dafür, die Unterbrechung durch eine Aufmerksamkeit meinerseits zu begleiten. DasGlück öffnet Herz und Hand gar wundersam, und in geringem Maße zu geben, wenn wir reichlich empfangen haben, ist nur ein Abfluss, den wir der ungewohnten Aufwallung unserer Gefühle verschaffen. Schon lange hatte ich voll Freude empfunden, dass manche meiner ländlichen Schülerinnen mich liebten, und als wir voneinander Abschied nahmen, wurde diese Empfindung vollauf bestätigt; sie legten ihre Anhänglichkeit für mich deutlich und ehrlich an den Tag. Wie groß war meine Dankbarkeit, als ich sah, dass ich wirklich einen Platz in ihren reinen Herzen innehatte. Und so versprach ich ihnen, dass auch zukünftig keine Woche vergehen sollte, ohne dass ich sie aufsuchen und ihnen eine Unterrichtsstunde in ihrer Schule geben würde.
Mr. Rivers kam, um die Tür zu verschließen, nachdem die Klassen – zusammen jetzt sechzig Mädchen – an mir vorübergezogen waren. Ich stand mit dem Schlüssel in der Hand da und wechselte noch einige besondere Abschiedsworte mit einem halben Dutzend meiner besten Schülerinnen. Diese waren sicher die anständigsten, achtbarsten, bescheidensten und gebildetsten jungen Frauen des ganzen englischen Bauernstandes. Und das ist viel gesagt, denn seit diesen Tagen habe ich viele französische
paysannes
und deutsche
Bäuerinnen
gesehen, und die besten von ihnen erscheinen mir dumm, gewöhnlich und ungehobelt, wenn ich sie mit meinen Mortoner Mädchen vergleiche.
»Betrachten Sie sich als wohl entlohnt für diese Zeit der Anstrengung?«, fragte Mr. Rivers, als sie alle fort waren. »Gewährt Ihnen das Bewusstsein, in Ihrer Zeit und Ihrer Generation etwas wirklich Gutes geleistet zu haben, nicht wahre Freude?«
»Ohne Zweifel.«
»Und Sie haben doch erst wenige Monate gewirkt! Wäre nicht ein ganzes Leben, welches der Aufgabe gewidmet ist, das Menschengeschlecht zu bessern, ein gut angewandtes Leben?«
»Ja«, sagte ich. »Aber
ich
hätte nicht für alle Zeit auf diese Weise leben können. Ich will mich ebenso gern an meinen eigenen Talenten und Fähigkeiten erfreuen, wie ich jene meiner Mitmenschen heranbilde. Ich will mich ihrer
jetzt
freuen; erinnern Sie mich also nicht wieder an die Schule. Die liegt jetzt hinter mir, und ich will mich meinen Ferien widmen.«
Er sah sehr ernst aus. »Was bedeutet das? Welche Ungeduld legen Sie plötzlich an den Tag? Was haben Sie vor?«
»Ich will tätig sein, so tätig wie möglich. Und vor allen Dingen möchte ich Sie bitten, Hannah freizugeben und sich jemand anderen zu suchen, der Sie an ihrer Stelle bedient.«
»Brauchen Sie sie?«
»Ja, um mit mir nach Moor House zu gehen. In einer Woche werden Diana und Mary zu Hause sein, und bei ihrer Ankunft sollen sie alles in der schönsten Ordnung finden.«
»Ich verstehe. Ich glaubte schon, Sie beabsichtigten, irgendeinen Ausflug zu machen. Es ist besser so. Hannah soll Sie begleiten.«
»Sagen Sie ihr also bitte, dass sie sich morgen bereithält. Und hier ist der Schlüssel zum Schulzimmer; morgen früh werde ich Ihnen den Schlüssel zu meinem Häuschen geben.«
Er nahm ihn. »Sie liefern ihn sehr freudig ab«, sagte er. »Ihr Frohsinn erscheint mir ein wenig
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