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Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Titel: Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Brontë
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Werkzeug überreichte sie Miss Scatcherd mit einem respektvollen Knicks, dann löste sie schweigend, ohne dass es ihr befohlen wurde, ihre Schürze – und augenblicklich versetzte die Lehrerin ihr mindestens ein Dutzend scharfer Streiche mit der Rute auf Arme und Nacken. Nicht eine einzige Träne trat in Burns’ Augen, und während ich mit meiner Arbeit innehielt, weil ein Gefühl ohnmächtigen, hilflosen Zorns meine Finger erbeben ließ, veränderte sich nicht ein einziger Zug in ihrem nachdenklichen, ernsten Gesicht.
    »Du störrisches Mädchen!«, rief Miss Scatcherd aus, »nichts kann dich von deinen unordentlichen Gewohnheiten heilen! – Trage die Rute wieder fort!«
    Burns gehorchte. Ich sah ihr aufmerksam ins Gesicht, als sie wieder aus der Bücherkammer heraustrat: Sie schob gerade ihr Taschentuch wieder in die Tasche, eine Träne glänzte in ihrem Auge und rann dann langsam über ihre hohle, bleiche Wange.
    Die Spielstunde am Abend galt mir als der angenehmste Teil des ganzen Tages in Lowood. Wenn das kleine Stück Brot und der Schluck Kaffee, die ich um fünf Uhr genossen hatte, meinen Hunger auch nicht stillen konnten, so hatten sie wenigstens meinen Lebensmut neu beseelt. Der lange Zwang des Tages fiel von allen ab. Das Schulzimmer war wärmer als am Morgen, denn die Feuer durften heller brennen, da sie andere Lichter ersetzen mussten, die nicht vorhanden waren. Der rötliche Feuerschein, der gestattete Lärm, das Durcheinander vieler Stimmen rief ein wohliges Gefühl von Freiheit hervor.
    Am Abend des Tages, an dem ich gesehen hatte, wie Miss Scatcherd ihre Schülerin Burns mit der Rute geschlagen hatte, ging ich wie gewöhnlich ohne Gefährtin zwischen Tischen und Bänken und lachenden Gruppen umher, ich fühlte mich indessen nicht einsam. Wenn ich an den Fenstern vorüberging, hob ich dann und wann einen Vorhang in die Höhe und blickte hinaus. Der Schnee fiel in dichten Flocken, vor den unteren Fensterscheiben lag bereits eine hohe Schicht. Wenn ich mein Ohr dicht an das Fenster legte, hörte ich durch den fröhlichen Tumult im Zimmer hindurch das traurige Sausen und Toben des Windes draußen.
    Hätte ich ein glückliches Heim und gütige Eltern verlassen, so wäre dies wahrscheinlich die Stunde gewesen, in der ich die Trennung am bittersten und schmerzlichsten empfunden hätte. Dieser draußen tobende Sturm würde mir das Herz schwer gemacht haben, dieses düstere Chaos würde meinen Frieden gestört haben – wie die Dinge aber lagen, rief das Getöse eine seltsame Erregung in mir wach. Ich wurde unruhig und fieberhaft, ich wünschte, dass der Wind lauter heulen, die Dämmerung zur Dunkelheit werden und der Lärm in Toben ausarten möchte.
    Über Bänke fortspringend und unter Tischen weiterkriechend, bahnte ich mir einen Weg zu einem der Kamine. Dort fand ich Burns, am hohen Kaminschutz kniend. Sie hatte beim matten Schein der glühenden Asche über der Gesellschaft ihres Buches alles vergessen, was um sie herum vorging.
    »Ist es noch immer ›Rasselas‹?«, fragte ich sie von hinten.
    »Ja«, sagte sie, »ich bin fast fertig.«
    Nach einer kleinen Weile schlug sie das Buch zu. Ich war froh darüber.
    ›Jetzt‹, dachte ich, ›kann ich sie vielleicht zum Sprechen bringen.‹ Ich setzte mich neben sie auf den Fußboden.
    »Welchen Namen hast du noch außer Burns?«
    »Helen.«
    »Bist du von weit her?«
    »Ich komme aus dem Norden, von der schottischen Grenze.«
    »Willst du irgendwann wieder dorthin zurück?«
    »Ich hoffe es, aber niemand kann in die Zukunft sehen.«
    »Wünschst du nicht sehr, Lowood zu verlassen?«
    »Nein, weshalb sollte ich das wünschen? Ich bin nach Lowood geschickt worden, um eine gute Erziehung zu bekommen, und was würde es nützen, fortzugehen, wenn dieser Zweck nicht erreicht ist?«
    »Aber jene Lehrerin, Miss Scatcherd, ist doch so grausam gegen dich.«
    »Grausam? Durchaus nicht! Sie ist streng. Sie hat einen großen Widerwillen gegen meine Fehler.«
    »Wenn ich an deiner Stelle wäre, würde ich sie hassen, ich würde mich gegen sie auflehnen; wenn sie mich mit einer Rute schlüge, würde ich sie ihr aus der Hand reißen, vor ihrer Nase würde ich das Ding zerbrechen!«
    »Wahrscheinlich würdest du nichts von alledem tun, aber wenn du es tätest, so würde Mr. Brocklehurst dich mit Schimpf und Schande aus der Schule jagen. Und das wäre doch ein großer Kummer für deine Angehörigen. Es ist viel besser, einen Schmerz mit Geduld zu ertragen, den niemand

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