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Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Titel: Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Brontë
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sprechen, bis wir die sonnigeren, fröhlicheren Regionen des unteren Stockwerks erreicht hatten. Adèle kam uns in der Halle entgegengelaufen und rief:
    »Mesdames, vous êtes servies!« Dann fügte sie lachend hinzu: »J’ai bien faim, moi!«
    Die Mahlzeit war bereits angerichtet und wartete auf uns in Mrs. Fairfax’ Zimmer.

Zwölftes Kapitel
     
    Die Aussicht auf eine ruhige und angenehme Stellung, welche meine Begrüßung auf Thornfield Hall zu versprechen schien, wurde auch nach einer näheren Bekanntschaft mit dem Ort und seinen Bewohnern nicht getrübt. Mrs. Fairfaxwar tatsächlich das, was sie zu sein schien: eine leidenschaftslose, gutherzige, sich stets gleichbleibende Frau von ziemlich guter Erziehung und durchschnittlichem Verstand. Meine Schülerin war ein lebhaftes Kind, welches verzogen und verwöhnt und deshalb zuweilen eigensinnig und widerspenstig war; da sie jedoch gänzlich meiner Obhut anvertraut war und keine unberufene und unvernünftige Einmischung von irgendeiner Seite jemals meine Pläne und Absichten in Bezug auf ihre Erziehung durchkreuzte, vergaß sie bald ihre kleinen Launen und wurde gehorsam und lernbegierig. Sie besaß keine hervorragenden Talente, keine scharfen Charakterzüge, keine besondere Gefühls- oder Geschmacksrichtung, welche sie auch nur um einen Zoll über das normale Niveau anderer Kinder emporgehoben hätte; aber ebenso wenig hatte sie irgendein Laster oder einen Fehler, welcher sie unter dasselbe gestellt hätte. Sie machte ziemlich gute Fortschritte, hegte für mich eine lebhafte, wenn auch nicht sehr tiefgehende Neigung und flößte mir ihrerseits durch ihre Naivität, ihr fröhliches Plaudern und ihre Bemühungen, mir zu gefallen, einen Grad von Zuneigung ein, welcher hinreichte, um uns ein gewisses Behagen an unserer gegenseitigen Gesellschaft finden zu lassen.
    Personen, welche feierliche Vorstellungen über die engelsgleiche Natur der Kinder hegen und verlangen, dass jene, denen ihre Erziehung anvertraut ist, eine abgöttische Liebe für dieselben hegen sollen, werden meine Worte vielleicht für kalt und gefühllos halten. Aber ich schreibe nicht, um elterlichem Egoismus zu schmeicheln, Litaneien nachzubeten oder Unsinn zu unterstützen, ich erzähle nur die Wahrheit. Ich hegte eine gewissenhafte Sorgfalt für Adèles Wohlergehen und ihre Fortschritte und hatte ein ruhiges Wohlgefallen an ihrem kleinen Selbst – gerade so, wie ich für Mrs. Fairfax’ Güte dankbar war, mich an ihrer Gesellschaft und an den Rücksichten, die sie auf mich nahm, erfreute und dieweise Mäßigung in ihrem Charakter sowie in ihrem Gemüt zu schätzen wusste.
    Mag mich tadeln, wer da will, wenn ich noch hinzufüge, dass ich dann und wann, wenn ich einen Spaziergang im Park gemacht hatte oder nach dem Parktor hinuntergegangen war, um von dort auf die Landstraße zu blicken, oder wenn Adèle mit ihrer Wärterin spielte und Mrs. Fairfax in der Vorratskammer Fruchtgelee kochte – dass ich dann anschließend die drei Treppen hinaufkletterte, die Ausstiegsluke in der Bodenkammer öffnete, an die Galerie des Daches trat und weit über Felder und Hügel bis an die verschwommene Linie des Horizonts hinblickte. Dann wünschte ich mir die Gabe einer Seherin, um über jene Grenzen fortsehen zu können, dorthin, wo die geschäftige Welt, wo Städte und lebensvolle Regionen waren, von denen ich wohl gehört, die ich aber niemals gesehen hatte. Dann ersehnte ich mir mehr praktische Erfahrung, als ich besaß, mehr Verkehr mit meinesgleichen, mehr Kenntnis verschiedener Charaktere, als ich mir hier erringen konnte. Ich wusste das Gute in Mrs. Fairfax und das Gute in Adèle zu schätzen, aber ich glaubte, es müsse auch noch andere, lebensvollere Formen der Güte geben, und ich wünschte, diese auch kennenzulernen.
    Wer tadelt mich? Sehr viele wahrscheinlich, und man wird mich unzufrieden und gar undankbar nennen. Ich konnte jedoch nichts dafür; die Ruhelosigkeit lag in meiner Natur und oft quälte sie mich aufs Äußerste. Dann fand ich die einzige Beruhigung darin, auf dem Korridor des dritten Stockwerks hin und her zu gehen, wo ich mich in der Einsamkeit des Ortes wohl und sicher fühlte, um das geistige Auge auf den herrlichen Visionen ruhen zu lassen, die sich vor ihm ausbreiteten – und es waren ihrer viele, prächtige und farbenglühende – und mein Herz schwellen zu lassen von lebensvoller Sehnsucht, die, wenn auch schmerzhaft, doch wenigstens Leben war. Vor allen Dingen aber liebte ich

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