Jane True 02 - Meeresblitzen
fuhr reflexartig einen starken Schild hoch. Gleichzeitig zog ich Wasser aus der meeresgeladenen Luft, mit dem ich sein Feuer löschte, als seine Hand durch meine hastig errichtete Barriere drang. Ich wollte ihn nicht noch wütender machen, indem ich mich nicht von ihm anfassen ließ, aber ich war auch nicht gerade scharf auf gegrillte Wangen.
»Du hast ja Recht. Entschuldige!«, schrie ich und ließ
den Tränen, die ich so lange unterdrückt hatte, freien Lauf. »Es tut mir leid, dass ich es nicht verstehen kann. Ich hatte Glück. Aber ich will es versuchen, Conleth. Ich will dich kennenlernen!«
Seine Hand packte mich am Kinn, als er mir argwöhnisch in die Augen schaute, um herauszufinden, ob ich etwa log. Was ich im Übrigen tat – und zwar dass sich die Balken bogen.
Eben hatte ich mich noch gefragt, ob es mir nicht gelänge, ihn zu knacken, ihn dazu zu bringen, sich die Hilfe zu suchen, die er benötigte. Damit ihm vielleicht etwas Gerechtigkeit widerführe. Aber jetzt wurde mir klar, dass das eine totale Milchmädchenrechnung gewesen war. Ja, er war ein Opfer, aber er war eben auch eine tickende Zeitbombe, mit der ich allein unmöglich fertigwurde. Ich sollte schleunigst mit meinen Winkelzügen aufhören und mich hüten, weiter die Psychologin zu spielen.
Dennoch machte ich weiter und ließ meine sowieso schon großen, schwarzen Augen einfach noch mehr nach Babyrobbe aussehen. Ihm schien zu gefallen, was er sah, denn er nickte schließlich, rückte ein Stück von mir ab und versuchte wieder, die Kontrolle über sich zurückzugewinnen. Zumindest das bisschen, das er davon hatte.
»Es tut mir leid, Con. Wirklich leid! Du hast vollkommen Recht. Ich kenne dich einfach noch nicht so gut, aber gib mir eine Chance.«
»Es sollte dir auch leidtun.«
»Das tut es, Con. Ganz ehrlich. Es tut mir so leid.«
»Was mir passiert ist…« Er verstummte, sein Feuer erlosch wieder und ließ nichts als Traurigkeit zurück.
»Was mit dir passiert ist, ist ungeheuerlich, Conleth. Was du erdulden musstest, ist mehr als grauenhaft.«
Con senkte den Kopf und ließ sich kraftlos zu meinen Füßen nieder. Er legte seine Wange auf mein Knie. Sein Rücken zuckte, und nach einem Moment der Verblüffung merkte ich, dass er weinte: »Ich hatte gehofft, dass du es verstehen würdest«, schniefte er. »Als ich deine E-Mails las, dachte ich, du könntest mich vielleicht verstehen. Mich wirklich kennenlernen.«
Ich gab tröstende Geräusche von mir, während ich die ganze Zeit über versuchte, mit den Rändern meines noch immer errichteten Schildes die Knoten meiner Handgelenksfesseln zu lösen. Con mochte ja vielleicht ein Computerfreak sein, aber er hatte keine Ahnung vom Segeln. Ich war mir ziemlich sicher, dass er mich mit nichts weiter als einer Doppelschleife gefesselt hatte.
»Weißt du, was ich am absurdesten daran finde, Jane? Das Wort ›Halbling‹. Ich konnte es nicht glauben, als mir diese Frau sagte, dass man uns ›Halblinge‹ nennt.« Conleth schnaubte, nachdem er seine Tränen wieder unter Kontrolle hatte. »Als seien wir nur die ›Hälfte‹ von irgendwas.« Er rieb seine Wange an der Außenseite meiner Jeans, und ich konnte seine Hitze durch den Stoff hindurch spüren. Ich stocherte fester an dem Knoten herum und versuchte gleichzeitig, meinen Schild stabil zu halten, ungeachtet der Tatsache, dass Con nun vor mir kniete und ziemlich unverhohlen meine Beine betatschte.
»Erzähl mir mehr davon«, improvisierte ich. »Ich habe es so satt, mich die ganze Zeit nur mit diesen Reinblütigen abgeben zu müssen. Oder mit Menschen.«
Glücklicherweise hörte Con auf, mir auf den Schritt zu glotzen, und strahlte mich an.
»Ich wusste es! Ich wusste, du meinst all das Zeug nicht ernst, das du diesem Ermittler geschrieben hast. Ich wusste, du schreibst ihm das nur, damit er nicht merkt, wie sehr du ihn eigentlich hasst.«
»Ähm, ja, natürlich. Alles nur Lügen«, pflichtete ich ihm bei und nestelte immer krampfhafter an meinen Fesseln herum. Ich musste Anyan darauf hinweisen, dass Doppelschleifen eine erstaunlich effektive Fesselmethode waren.
»Das ist toll, Jane. Toll. Ich bin so froh, dass du das sagst.«
Con strahlte mich weiter an, und ich strahlte zurück, während ich heimlich meine Taktik änderte und mir in Erinnerung rief, was ich tat, wenn ich die Schnürsenkel meiner geliebten grünen Chucks aufband. Ich fing also an, mit meinem Kraftschild an den Fesseln zu zupfen statt zu stochern und suchte nach dem
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