Jane True 02 - Meeresblitzen
sehr auf ihr jeweiliges Territorium fixiert, und auch Nell und Ryu hatten mir ihre übersinnliche Geografie eingehämmert. Ein Großteil der Gegend, die wir Menschen als den nördlichen Teil von Illinois kennen, gilt unter den Übernatürlichen als sogenannte Grenzregion. Ähnlich wie die unzugänglichen Berggebiete zwischen Pakistan und Afghanistan waren auch die Grenzregionen zwischen benachbarten Territorien gesetzlose Orte, wo die Alfar keine Regierungsgewalt besaßen. Doch Chicago war ein besonders extremer Fall. Die Stadt und
ihre Randbezirke waren so etwas wie ein schwarzes Loch für die Alfar: Sie hatten schon Spione eingeschleust, doch keiner von ihnen war je wieder aufgetaucht. Diese riesige urbane Gegend, die allen Menschen bekannt war und die man sogar auf Google Maps ansehen konnte, blieb für die Alfar und ihre reinblütigen Untergebenen im Verborgenen.
Das machte sie sicher schier verrückt, aber scheinbar konnten sie nichts dagegen tun. Durch das Nachwuchsproblem bei gleichzeitig bereits niedriger Bevölkerungszahl, noch verschlimmert durch den Verrat der Naga – das Volk in Orins und Morrigans Territorium war bei dem Kampf gegen Jimmu und seine Geschwister starkt dezimiert worden – , hatten die Alfar einfach nicht genug Leute, um die Grenzregion aufs Geratewohl zu erobern.
Also steckten wir, was diesen Aspekt unserer Ermittlungen betraf, in einer Sackgasse. Ryu verfügte über keinerlei Verbindungen in die Grenzregion. Es wusste von keinen übernatürlichen Machtstrukturen, bei denen er Erkundigungen hätte einholen können. Also beauftragte er Camille, bei der menschlichen Polizei nachzuforschen. Aber über das Telefon waren die Möglichkeiten, ihre Aura einzusetzen, begrenzt, weshalb es eher unwahrscheinlich war, dass man dort irgendwelche sensiblen Informationen preisgeben würde. Ryu hatte außerdem Julian beauftragt, sich in das Computersystem des Chicago Police Department einzuhacken. Er sollte nach Leichen suchen, die verbrannt worden waren, damit wir neue Anhaltspunkte bekamen.
Aber Silvers Unterlagen lieferten uns dennoch ein paar Erkenntnisse für unsere Bostoner Ermittlungen. Nachdem mich Ryu in die Nähe des Piers beim New England Aquarium
gebracht hatte, damit ich eine Runde schwimmen und meine Batterien wiederaufladen konnte, brüteten wir die ganze Nacht über Silvers Papieren und versuchten, Conleth genauer ins Visier zu bekommen.
Zu unserem Pech waren nur noch zwei Personen, die unter dem neuen Geldgeber gearbeitet hatten, am Leben. Eine davon war eine Empfangsdame, die sowohl zu Silvers Zeiten als auch später unter dem neuen Geldgeber für das Labor tätig gewesen war. Conleth war ziemlich ihn sie verschossen gewesen, aber sie hatte seine Gefühle nicht erwidert. Am Ende wurde er sogar gewalttätig gegen den Wissenschaftler, von dem er annahm, sie stehe auf ihn. Entweder hatte sie gekündigt, oder sie war entlassen und daraufhin durch die Frau ersetzt worden, die Conleth zusammen mit ihrem Freund getoastet hatte. Wenn Con schon zu jemandem, der nur am Empfang arbeitete, so grausam war, dann erschauderte ich bei der Vorstellung, was er wohl jemandem antun würde, der ihn darüber hinaus noch verschmäht hatte.
Das brachte uns auf das Bostoner Stadtviertel Allston und die Wohnung, in der Tally Bender, die frühere Empfangsdame, nun lebte. Es war schwer gewesen, sie überhaupt ausfindig zu machen, denn sie hatte bei ihrem damaligen Freund gelebt und war gerade dabei gewesen, dort auszuziehen, als sie den Job im Labor aufgab. Ganz abgesehen davon wohnten in Allston fast ausschließlich Studenten der Boston University und des Boston College, von denen die meisten nur zur Untermiete oder in Wohngemeinschaften lebten. Aber nachdem wir erst einmal eine Sozialversicherungsnummer in Silvers Unterlagen gefunden hatten, gelang es Julian doch, sie ausfindig zu machen.
Während die anderen zu Tallys Haus gingen, blieb ich mit Julian beim Auto, das Ryu ein paar Häuser entfernt geparkt hatte. Wir sollten sicherstellen, dass niemand unseren Freunden zu Tallys Wohnung folgte. Besorgt um die Sicherheit der jungen Frau, ließen Ryu und sein Team nicht mit sich reden und bestanden entschieden darauf, dass ich mich diesmal raushielt.
Begeistert war ich nicht, aber ich musste mich fügen. Wenn es um Verteidigung ging, war ich mittlerweile schon ziemlich gut, was Ryu auch durch die Tatsache, dass er mich bei Julian ließ, anerkannte, aber Angriff war noch immer nicht gerade meine
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