Januarfluss
hereinkommt, während ich gerade meine Hände in der Schublade habe, gerate ich in arge Erklärungsnot. Sind die Sachen erst einmal drauÃen, liegen sie unter meinem Briefbogen relativ sicher.
Diesmal habe ich es mit einer Daguerreotypie, also einer altmodischen Fotografie auf einer dünnen Metallplatte, zu tun. Es ist ein Brautpaar darauf zu sehen, ich nehme an, dass es Dom Fernandos Eltern sind. Sie sind vor rund drei Jahren bei einem Unfall mit ihrer Kutsche ums Leben gekommen, ein Umstand, der Dom Fernando zu einer tragischen Figur und damit als Junggesellen noch attraktiver machte. Die jungen Damen der Gesellschaft finden es nämlich chic, wenn ein Herr von einer Aura der Düsternis und Trauer umgeben ist. AuÃerdem finde ich einen verschlossenen Umschlag, auf dem » Testament « steht, sowie einen unverschlossenen Umschlag, der nicht beschriftet ist. Er fühlt sich dick und vielversprechend an. Ich werfe einen Blick hineinâ und halte kurz den Atem an. Der Umschlag ist prall gefüllt mit Geldnoten, ein dickes Bündel Scheine von hohem Wert. Das erklärt nun endlich, warum Dom Fernando diese Schublade unter allen Umständen abgeschlossen wissen will. Es ist eine unverantwortlich hohe Summe, die er hier aufbewahrt.
Warum hat keiner der Sklaven dieses Geld an sich genommen? Sie können vielleicht gar nicht oder nur schlecht lesen, aber Geldbündel werden sie ja noch als solche erkennen können, zumal wenn sie in einem offenen Umschlag aufbewahrt werden. Mit so viel Geld könnte ein entlaufener Sklave sich leicht eine neue Existenz aufbauen, schön weit fort von hier und damit auÃerhalb der Reichweite von Dom Fernando. Es würde reichen, um eine Schiffspassage nach Europa zu kaufen und dort ein Leben in Freiheit zu beginnen. Ich muss Rosa bei nächster Gelegenheit danach fragen.
Trotz meines interessanten Fundes bin ich enttäuscht. Dokumente, die den illegalen Handel mit Sklaven belegen, waren nicht in dem Sekretär. Das viele Bargeld mag ein Indiz für unlautere Geschäfte sein, aber ein Beweis ist es nicht. Dom Fernando könnte auch einfach behaupten, er habe Glück im Spiel gehabt.
Vielleicht ist es auf meine Enttäuschung zurückzuführen, vielleicht auch auf die Wochen der Entbehrung, die ich hinter mir habe, jedenfalls tue ich etwas, woran ich normalerweise nicht im Traum gedacht hätte: Ich nehme mir ein paar der Scheine und stecke sie ein. Dom Fernando wird es gar nicht merken, und für mich und Lu stellen die rund 70Mil-Réis eine nette Summe dar, mit der man eine Weile sein Ãberleben sichern kann. Ich habe nicht mal ein schlechtes Gewissen.
Gerade als ich die Schublade weit geöffnet habe, um alles wieder so zu verstauen, wie es vorher dort lag, öffnet sich nach einem halbherzigen Klopfen die Tür. Verflucht! Wozu klopfen diese neugierigen Plagegeister eigentlich, wenn sie ohnehin keine Antwort abwarten und nach Belieben herein- und herausspazieren? Vor Schreck habe ich Herzrasen, doch noch heftiger ist meine Wut. Ungehalten rufe ich aus: » Kann man in diesem Haus denn nicht eine Sekunde ungestört sein? « , als ich bemerke, dass es Rosa ist.
» Himmelherrgott noch mal! Du hast mich zu Tode erschreckt. «
» Ja, Sinhazinha, das tut mir leid, wertes Fräulein. Ich wollte Ihnen nur Bescheid sagen, dass jetzt ein Pferd für Sie gesattelt ist, wie Sie es gewünscht haben. «
Was? Ich habe nichts dergleichen gewünscht. Erst als Rosa mir zuzwinkert, geht mir auf, dass sie irgendetwas im Schilde führt. Nun gut, ich werde ausreiten und sehen, was sie für mich geplant hat.
» Ja, sehr gut, vielen Dank. Ich muss mich nur kurz umziehen, dann komme ich. « In dem Moment, in dem ich das sage, merke ich, dass ich Unsinn rede. Weil ich auf Ãguas Calmas immer im Reitdress aufs Pferd steige, war ich automatisch davon ausgegangen, es hier auch zu tunâ reine Macht der Gewohnheit. Denn ich habe natürlich gar keine Reitkleidung dabei. Ich werde in einem meiner beiden normalen Kleider reiten müssen. AuÃerdem werde ich bei nächster Gelegenheit neue Kleidung kaufen müssen. Nach meinem Ausritt werde ich Rosa nach einer brauchbaren Näherin fragen.
Der Gedanke, mich auf dem Rücken eines Pferdes durch die Natur tragen zu lassen, hat auf einmal etwas Unwiderstehliches. Warum bin ich nicht von alleine darauf gekommen? Nach den Wochen in der Stadt, und zwar in den schmutzigsten
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