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Januarfluss

Januarfluss

Titel: Januarfluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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nach vorn. » Ja. « Mein Kopf befindet sich ganz dicht neben seinem, fast meine ich, seine Bartstoppeln auf meiner Haut spüren zu können.
    Â» Man kann « , sagt er und greift in die Öffnung, » hier drin etwas verstecken. Das Loch ist nicht tief, es besteht also keine Gefahr, dass der Gegenstand, so klein er auch sein mag, hinunterfällt. Versuch es doch selbst einmal. Greif rein. «
    Ich versuche mir meinen Widerwillen nicht anmerken zu lassen. Insekten, Eier, Larven, Spinnweben– ich kann mir lebhaft vorstellen, was man in so einem schönen Hohlraum alles finden könnte. Aber da ich nicht will, dass Lu mich für ein verzärteltes Fräulein hält, sollte ich mich besser überwinden und hineingreifen. Ich zögere eine Sekunde zu lang, denn plötzlich nimmt Lu meine Hand und führt sie vorsichtig in die Öffnung hinein. Seine Hand liegt dabei immer leicht auf meiner, es fühlt sich gut an. Er gibt mir ein Gefühl von Sicherheit– aber da ist noch mehr in dieser zarten Berührung, die doch eigentlich ganz harmlos ist. Die Härchen an meinen Unterarmen stellen sich auf, so schön ist diese Nähe zwischen uns.
    Â» Fühlst du es? « , fragt Lu. Einen Augenblick lang denke ich, er meint das, was gerade zwischen uns passiert, doch dann wird mir klar, dass er von der Öffnung spricht. Im Inneren des Hohlraums ist es erstaunlich trocken und glatt. Da ist nichts zu fühlen, was eklig wäre, glibberig oder schleimig.
    Â» Ich kann nur Holz ertasten. «
    Â» Genau. Du brauchst also keine Angst zu haben, wenn du hier etwas hineinlegst. «
    Â» Was sollte ich denn hineinlegen wollen? « , frage ich.
    Â» Dinge, die du vielleicht bei dem Schuft findest und sofort loswerden musst. «
    Â» Oh, da fällt mir ein, ich habe etwas für dich. « Ich ziehe die Hand aus dem Loch im Baum und sofort geht Lu wieder auf Distanz zu mir. Vielleicht hat er dasselbe gespürt wie ich und nun ist es ihm peinlich. Ich greife in mein Dekolleté– das anzügliche Grinsen von Lu ignoriere ich– und ziehe dieGeldscheine hervor. Triumphierend wedele ich vor seinen Augen damit herum, bis mir auffällt, dass Lu nicht so begeistert über meinen Diebstahl ist, wie ich es mir erhofft hatte.
    Â» Bist du wahnsinnig? « , fährt er mich an. » Wo hast du das her? «
    Â» Aus einer Schublade in Dom Fernandos Sekretär. Eine Kopie des Schlüssels hat Rosa mir gegeben, und da der Hausherr heute früh fortgeritten ist, war die Gelegenheit günstig, gleich mal darin herumzustöbern. «
    Â» Was war sonst noch drin? «
    Â» Nichts Interessantes. Eine altmodische Fotografie. Vergilbte Liebesbriefe auf Spanisch. Ein Testament. Ein Kaufvertrag von 1882 für ein Pferd. Und ebendieser Umschlag mit einem Haufen Geld darin. «
    Â» Merkwürdig. « Lu kratzt sich am Kinn, eine Geste, die, wie ich inzwischen weiß, ein sicheres Indiz dafür ist, dass er nachdenkt.
    Â» Was soll daran merkwürdig sein? «
    Â» Findest du die Mischung an Sachen, die sich in dieser Schublade befinden, nicht auch ein bisschen sonderbar? Warum bewahrt er ein solches Sammelsurium darin auf, das gar nicht zueinanderzupassen scheint? «
    Â» Weil « , versuche ich zu erklären, » er vermutlich im Laufe der Zeit alles Mögliche hineingelegt hat, ohne groß darüber nachzudenken. Verschlossen ist die Lade nur wegen des vielen Geldes. «
    Â» Aber ein Testament würde man doch zusammen mit anderen wichtigen Dokumenten aufbewahren. Was ist mit den Eigentumsurkunden für das Land und die Fazenda? Was ist mit den Geburtsurkunden der Sklaven? Aktien? Handelsverträge? All das muss doch irgendwo aufbewahrt sein. «
    Â» Vielleicht hat er die in seinem Haus in Rio. Oder in einem Schließfach bei der Bank. «
    Â» Ja « , murmelt Lu und reibt sich nachdenklich das Kinn. » Aber diese privaten Sachen. Die Fotografie, die Briefe. Da müsste es doch wiederum mehr geben. Hat es damit etwas Besonderes auf sich, dass er sie aufbewahrt? «
    Â» Das Bild ist von seinen Eltern, die gestorben sind. Und die Briefe… Vielleicht hat er diese Frau geliebt. «
    Â» Du meinst, so wie er den Gaul geliebt hat, dessen Kaufvertrag da noch liegt? «
    Â» Ja, vielleicht. Manchmal liegen einem Tiere mehr am Herzen als Menschen. «
    Â» Pah « , schnaubt Lu. » Nur ihr Reichen könnt euch so eine Gefühlsduselei

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