Januarfluss
mich mit herunterhängenden Mundwinkeln.
» Nein, danke. Das heiÃt: doch. « Plötzlich ist mein Bedürfnis, einen Brief zu schreiben, so übermächtig, dass mich die Kosten nicht mehr schrecken. » Ich bräuchte bitte einige Bogen Papier, dazu Umschläge sowie eine Feder und Tinte. «
» Aber gern, Senhorita. « Er schiebt eine Rollleiter an die richtige Stelle vor dem Holzschrank hinter ihm, der vom Boden bis unter die Decke reicht, zieht eine Schublade auf und entnimmt ihr zwei verschiedene Papiersorten. Beide sind von der eher bescheidenen Art, nicht zu vergleichen mit dem herrlichen dicken, samtigen Papier, das ich zu Hause immer benutzt habe. » In der, ähm, preisgünstigeren Variante hätte ich diese beiden Sorten. «
Ich betaste das Papier, erkundige mich nach dem Preis und entscheide mich für das günstigere, obwohl es sich kaum besser anfühlt als Zeitungspapier. Aber es wird seinen Zweck schon erfüllen. Der Mann wickelt meine Einkäufe in einen Bogen billigsten Packpapiers und wippt nun seinerseits mit dem FuÃ, während ich umständlich das Geld abzähle. Ich reiche es ihm und habe schon einen unfreundlichen Abschiedsgruà auf den Lippen, als der Mann tatsächlich lächelt. Nun, denke ich, immerhin zeigt er ein Minimum an Umgangsformen, selbst einem einfachen Mädchen gegenüber. Und dann überrascht der Verkäufer mich abermals, indem er fragt: » Haben Sie heute Abend schon etwas vor? «
Ich starre ihn entgeistert an, dann entreiÃe ich ihm mein Päckchen und suche das Weite. Was fällt dem Kerl ein? Er kann doch nicht so mir nichts, dir nichts um ein Rendezvous bitten! Für was hält er sich? Und für was hält er mich?
Als ich in meiner Pension eintreffe, fällt mir ein Stein vom Herzen. Niemand drauÃen hat mich erkannt. Keiner hat mich merkwürdig angestarrt oder mich verfolgt. Abgesehen von dem plumpen Annäherungsversuch des schmierigen Verkäufers ist überhaupt nichts anders gewesen als in den vergangenen Tagen. Jetzt muss ich nur noch unbehelligt meine Kammer erreichen, dann kann ich in Ruhe meine Einkäufe sortieren und mich ans Briefeschreiben begeben.
Vorsichtig schleiche ich an den Räumen im Parterre vorbei und hoffe, dass Dona Eufrásia mich nicht hört, sollte sie denn zu Hause sein. Ich bin bereits auf dem Treppenabsatz in der ersten Etage, als meine Hoffnung sich verflüchtigt.
» Senhorita Isabel? « , vernehme ich Dona Eufrásias Stimme.
» Ja? « Ich drehe mich um und sehe die Zimmerwirtin an. Sie starrt zurück, ein triumphierendes Funkeln in den Augen.
In diesem Moment wird mir bewusst, dass ich einen schrecklichen Fehler begangen habe.
9
Zwei Stufen auf einmal nehmend renne ich auf mein Zimmer, klaube meine Habseligkeiten zusammen und hechte die Treppe wieder herunter. Mir ist klar, dass es sich nur noch um Minuten handeln kann, bis Dona Eufrásia mir die Polizei auf den Hals hetzt. Und da sie sich die Belohnung sichern will, muss sie mich mit allen Mitteln aufhalten.
Sie erwartet mich am unteren Ende der Treppe, mit ausgebreiteten Armen. Fast sieht es aus, als wolle sie mich herzlich umarmen.
» Senhorita Iolan⦠Isabel « , sagt sie mit hämischer Grimasse, » wohin so eilig? «
Ich stürme weiter die Stufen hinab, hole weit mit meinem Beutel aus und schwinge ihn ihr entgegen. Es gibt ein hässliches, knirschendes Geräusch, dann fällt Dona Eufrásia zu Boden. Sie scheint bewusstlos und ihr läuft Blut aus der Nase. Ich nehme mir nicht die Zeit nachzusehen, ob ich ihr schweren Schaden zugefügt habe, denn ich muss fort.
Ich laufe. Ich renne einfach drauflos, so schnell ich kann. Bei dieser Hitze bewegen sich alle anderen im Schneckentempo, sodass ich auffalle. Aber es ist mir egal, ob die Leute mich für eine Diebin oder für eine Verrückte halten. Oder auch für die gesuchte Isabel de Oliveira, alias Iolanda. Meine Güte, wie konnte ich nur so dumm sein?
Nach einer Weile bin ich so auÃer Atem, dass ich anhalten muss. Den Oberkörper nach vorn gebeugt und die Hände auf die Knie gestützt stehe ich da, bis ich wieder Luft bekomme. Ich schwitze wie ein Feldsklave und ich habe fürchterlichen Durst. Mein Beutel, den ich vorhin so lieblos gepackt habe, baumelt über meine Schulter auf den Boden, wo er in einer undefinierbaren Brühe landet. Ich mag gar nicht so genau darüber
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