Januarfluss
hinaufzukraxeln. Wenigstens bekomme ich jetzt keinen Muskelkater mehr davon, so wie in den ersten Tagen. Meine Waden sind schon dick und hart wie bei einem Mann, es ist kein schöner Anblick. Nun, es sieht ja keiner auÃer mirâ es sei denn, ich lege wieder die Kleidung des Stallburschen an, aber dann wären meine muskulösen Beine ja eher von Vorteil.
Ich schnaufe, als ich an der Ecke mit der Schänke ankomme. Ein paar Männer lungern dort herum, sie haben es sich auf Schemeln im Schatten gemütlich gemacht, spielen Karten und reden in einer mir unbekannten Sprache. Sie sehen kurz zu mir herüber, dann lachen sie lauthals. Bestimmt hat einer von ihnen eine anzügliche Bemerkung gemacht, bei Männern unter Alkoholeinfluss kann ja der dümmste Spruch für einen Heiterkeitsausbruch sorgen. Ich kümmere mich nicht weiter darum, denn langsam gewöhne ich mich an die lüsternen Blicke, die mir allenthalben folgen. Es scheint normal zu sein, wenn man als Mädchen oder Frau ohne Begleitung unterwegs ist. Auch Beatriz klagt gelegentlich über solche Belästigungen.
Es sind nur noch wenige Schritte zu Dona Anas Haus, als mich plötzlich jemand ruft.
» Senhorita! «
Ich beachte den Kerl gar nicht. Bestimmt wieder so einer, der nichts Besseres zu tun hat, als wehrlosen Mädchen nachzustellen.
» Senhorita Isabel, verdammt! Schnell! «
Mein Herz bleibt vor Schreck stehen. Wer kennt meinen wahren Namen? Ich schaue mich um und erkenne erst auf den zweiten Blick, dass da jemand hinter dem Stamm eines Avocadobaums steht und mich heranwinkt. Ich sehe genauer hin⦠und traue meinen Augen nicht: Es ist der Dieb!
» Du! « , rufe ich entrüstet aus. » Wie kannst du es wagen, du elender Mistkerl! «
» Komm schnell, jemand hat dich verpfiffen. Die Polizei ist auf dem Weg hierher. «
» Sehr gut, dann kann sie dich ja gleich mitverhaften. «
» Komm jetzt, sofort! Ich kann dir alles erklären. «
Was bleibt mir anderes übrig? Wenn der Gauner meinen Namen kennt, bedeutet das wohl, dass ich ihm Glauben schenken muss. Ich husche hinüber zu dem Baum, wo mich der frech grinsende Dieb erwartet.
» Du weiÃt ebenso gut wie ich « , raunt er mir zu, » dass du dich nicht an die Polizei wenden kannst. «
» Du gibst also zu, meinen Schmuck gestohlen zu haben? «
Er hebt entschuldigend die Schultern und breitet die Hände aus, mit den Innenflächen nach oben, so als wolle er sagen: Ich bin unschuldig. Was er indes sagt, ist das Gegenteil dessen, was seine Gestik ausdrückt: » Ich hatte keine andere Wahl. Irgendwie musste ich mich ja dafür entschädigen, dass ich auf die Belohnung verzichtet habe. « Treuherzig blickt er mich an, das reinste Bild der Unschuld. » Die will sich jetzt jemand anders holen. «
» Soll das heiÃen⦠«
» Genau das heiÃt es. Du bist aufgeflogen, Senhorita. Deine Zimmerwirtin, Dona Ana, war es hundertprozentig nicht, aber vielleicht dieses andere Mädchen bei euch im Haus. Oder, wer weiÃ, irgendein aufmerksamer Nachbar. Deine Tarnung war ja nicht gerade genial. «
In meinem Kopf arbeitet es fieberhaft. Verflucht! Im Moment ist es für mich völlig unerheblich, wer mich verraten hat. Viel wichtiger ist es, dass man mich nicht ergreift. AuÃerdem muss ich meine Sachen aus dem Haus holenâ sie sind das Einzige, was ich noch besitze. Nun muss ich bereits zum zweiten Mal aus einem Gästehaus fliehen, das ich für eine Woche bezahlt, aber nur wenige Nächte genutzt habe. So kann man sein Geld auch unters Volk bringen. Was soll ich nur tun? Nach meinem Einkaufsbummel habe ich nicht mehr genug, um mir auch nur eine einzige Ãbernachtung leisten zu können. Wie konnte ich nur so leichtfertig mit dem Geld umgehen?
» Aber, aber⦠ich muss wenigstens noch meine Sachen holen. «
» Schon passiert. « Er hält meinen prall gefüllten Beutel hoch. » Ich habâs kommen sehen « , erklärt er und setzt dazu wieder dieses schiefe Grinsen auf.
» Das wird ja immer schlimmer! « , beschwere ich mich. » Erst überfällst du mich auf offener StraÃe, dann raubst du mir meinen Schmuck, und schlieÃlich drückst du dich in meinem Zimmer herum und durchwühlst meine Sachen. « Der Gedanke, er könnte sich meine Unterwäsche oder andere Dinge äuÃerst privater Natur genauer angesehen haben, etwa Gustavos Brief
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