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Januarfluss

Januarfluss

Titel: Januarfluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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erklärt. Jetzt aber kommt es mir überhaupt nicht verrückt vor, hinter Lu durch das Gewirr der kleineren Gassen herzugehen. Ich bin sogar dankbar. Wenigstens scheint er zu wissen, was jetzt zu tun ist, im Gegensatz zu mir.
    Wir laufen und laufen, bergab und bergauf, durch belebte Straßen und durch dunkle Gassen, Lu mit meinem Beutel vorneweg, ich einen Schritt hinterher. Ich bin so außer Atem, dass ich mir die Fragen für später aufhebe. Eine davon wäre, warum Lus schmutziges Hemd nicht die Spur von Schweißflecken zeigt, während ich selbst zu zerfließen glaube. Aber ich schätze, das ist nicht unbedingt die wichtigste meiner Fragen.
    Nach einer Weile verlassen wir das dicht besiedelte Stadtgebiet und bewegen uns durch dichtes Grün. Ich vermute, wir befinden uns im Tijuca-Wald, der zwar direkt an die Stadt grenzt, aber praktisch noch Urwald ist. Es gibt einige Reitwege und kleine Straßen, weil der Kaiser und sein Gefolge sich gern die Zeit in der Natur vertreiben.
    Mitten im Areal des Tijuca-Waldes liegt auch der Corcovado. O corcovado bedeutet » der Bucklige « – ein etwas merkwürdiger Name für den höchsten Berg im Stadtgebiet Rios. Seit ein paar Jahren fährt eine Zahnradbahn zum Gipfel des Berges, der über 700Meter hoch ist. Ich bin einmal damit gefahren, es war ein unbeschreibliches Erlebnis. Die Fahrt selbst ist aufregend genug, denn die Strecke ist sehr steil, aber am schönsten ist es natürlich, oben anzukommen und den grandiosen Blick über die Stadt zu genießen. Man sieht von dort oben den Zuckerhut und die Schiffe in der Guanabara-Bucht genau wie das dicht besiedelte Stadtzentrum und die wilden Strände in den fast unbebauten Vororten Copacabana und Ipanema.
    Â» So, da wären wir « , sagt Lu nach einer halben Ewigkeit. Es wurde auch höchste Zeit. Noch ein paar Schritte mehr undich wäre zusammengebrochen. Es grenzt an Selbstmord,an einem Januarnachmittag solche Märsche zu bewältigen.
    Ich schaue mich um. Unter normalen Umständen hätte mich das, was ich da sehe, zur sofortigen Umkehr bewegt. Doch ich bin so erschöpft, dass mir sogar die Energie fehlt, mich aufzuregen.
    Â» Wo sind wir hier? « , frage ich matt.
    Â» Bei mir. Gefällt es dir nicht, Senhorita? «
    Â» Nenn mich nicht immer Senhorita « , fahre ich ihn an.
    Â» Wie soll ich dich denn nennen? Isabel? Oder lieber Iolanda, oder Florinda…? «
    Ich schlucke. Der Bursche weiß erschreckend viel über mich.
    Â» Nenn mich Isabel. «
    Â» Das ist vielleicht nicht so klug. Das scheint ja dein echter Name zu sein, wenn mich nicht alles täuscht. Wir könnten Bel daraus machen. «
    Â» Von mir aus. «
    Â» Also schön, Bel. Willkommen in meinem Zuhause. «
    Â» Es ist ganz und gar… wundervoll « , sage ich und kann nicht verhindern, dass sich Abscheu in meine Stimme schleicht.
    Â» Es ist sicher. Und das ist alles, was zählt. Komm rein. «
    Wir betreten eine Hütte, die auf Águas Calmas noch nicht einmal gut genug als Geräteschuppen gewesen wäre. Sie ist aus ein paar dicken Holzästen, Pappen, Palmzweigen und zerlöcherten Tüchern zusammengeflickt. Es gibt keine Türen und Fenster. Ein verdreckter Stofflappen hängt vor dem Eingang, und ein wenig trübes Licht dringt durch das bunte Dach aus Palmwedeln und Segeltuchplanen, die Lu wahrscheinlich im Hafen aufgestöbert hat.
    Es gibt keine Möbel, die diesen Namen verdienen würden. Die » Einrichtung « besteht aus einem Strohsack, der anscheinend zum Schlafen dienen soll, sowie zwei Holzkisten, wovon die eine zum Sitzen und die andere als Tisch bestimmt ist. Angesichts dieser elenden Wohnverhältnisse überkommt mich plötzlich grenzenlose Verzweiflung und ich kann die Tränen nicht mehr zurückhalten. Ich lasse mich auf die Sitzkiste fallen, die daran zu erkennen ist, dass ein fleckiges Kissen darauf liegt, und will die Hände vor dem Gesicht zusammenschlagen. Erst jetzt bemerke ich, dass ich noch immer die Papiertüte trage, in der sich meine Einkäufe von heute morgen befinden. Mein Bummel hätte auch in einem anderen Leben stattgefunden haben können, so sinnlos erscheint er mir jetzt. Handschuhe und Samtbänder– genau das, was man in einer Elendsbaracke wie dieser zum Überleben braucht. Ein lauter Schluchzer kommt aus meiner Kehle, ich bin machtlos dagegen.
    Lu schert sich gar nicht

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