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Januarfluss

Januarfluss

Titel: Januarfluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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genau das Richtige, denke ich.
    Â» Ich habe auch Milch und Zucker, wenn du willst « , sagt Lu, ohne mein » nein « zu akzeptieren und ohne den Blick von seiner Kochstelle zu heben. Er rührt mit einem Stöckchen in dem Gebräu.
    Bei dem köstlichen Kaffeeduft ist Widerstand zwecklos. » Gerne « , sage ich und entlocke Lu damit zum ersten Mal an diesem Morgen ein Lächeln.
    Tatsächlich lässt er mich den ganzen Kaffee alleine trinken. Erst als ich die Blechtasse geleert habe, bereitet er sich selbst einen Kaffee zu. Bei einem Herrn aus meinen Kreisen fände ich das selbstverständlich– bei einem wie Lu halte ich es für außergewöhnlich.
    Als ich ein lästiges körperliches Bedürfnis verspüre, schaue ich mich ratlos um. Ich traue mich nicht, Lu danach zu fragen, aber er hat anscheinend schon geahnt, wo es mich drückt. » Geh einfach ins Gebüsch. Wird dich schon keine Schlange fressen. « Er grinst schon wieder unverschämt, aber ich muss so dringend, dass mir keine Zeit mehr für eine passende Erwiderung bleibt. Außerdem ist mir das Ganze dermaßen peinlich, dass ich mich Lus spöttischem Blick nicht länger als nötig aussetzen will. Herrje, wie tief bin ich gesunken, dass ich mich jetzt schon im Urwald erleichtern muss, noch dazu mit dem Wissen Fremder?
    Bei meiner Rückkehr hält Lu eine weitere positive Überraschung für mich bereit. » Du kannst dich auch waschen. Ist ja nicht wie bei armen Leuten hier. «
    Mir entgeht die Ironie nicht, aber ich freue mich so auf ein bisschen Wasser, mit dem ich mich zumindest ein wenig erfrischen kann, dass ich eine schlagfertige Antwort unterdrücke. » Ach, und wo? « , frage ich. Es ist weit und breit keine Waschschüssel in Sicht.
    Â» Komm mit. «
    Ich folge ihm. Wir gehen einen schmalen Pfad entlang, der zu einer Lichtung führt. Man hört das Wasser schon aus einiger Entfernung rauschen, doch als dann wirklich ein kleiner Wasserfall vor uns auftaucht, kann ich es kaum fassen. Es ist paradiesisch!
    Â» Da kannst du dich drunterstellen. Das Wasser ist frisch, aber nicht sehr kalt. Und der See, in dem das Wasser landet, ist nicht tief, das Wasser reicht dir vielleicht bis zur Hüfte. Es ist vollkommen ungefährlich. «
    Â» Mag sein « , sage ich, » wenn da nicht fremde Burschen wären, die mir bei meinem Bad zusehen. «
    Â» Ich schau nicht hin, ehrlich. Ich gehe weg, du kannst ganz unbesorgt deine Dusche nehmen. «
    Als Lu sich umdreht und fortgeht, wird mir aber plötzlich doch ein bisschen mulmig zumute. Was, wenn er nicht wiederkommt? Und ich den Rückweg allein nicht mehr finde? Oder mir irgendetwas hier passiert? Ich will nicht allein unter einem Wasserfall in der floresta da Tijuca sterben, so malerisch es hier auch sein mag. Alle möglichen Schreckensszenarien laufen vor meinem inneren Auge ab, vom Giftfrosch, der meine Atmung lähmt, bis hin zur Wasserschlange, die mich zischelnd attackiert. Ich sehe mich schon röchelnd und vor Schmerzen gekrümmt in diesem idyllischen See untergehen.
    Â» Lu! « , rufe ich ihm nach.
    Â» Ja? «
    Â» Geh nicht allzu weit weg, bitte. «
    Â» Ist gut. « Er geht noch ein Stück, dann setzt er sich, gerade noch in Sichtweite, mit dem Rücken zu mir auf einen umgestürzten Baumstamm. Seine Nähe gibt mir Mut, stört mich aber auch. Ich wage es nicht, mich ganz auszuziehen, also streife ich nur mein Kleid ab und springe in Unterwäsche in den See. Das alles passiert in Sekundenschnelle, und als ich erst einmal unter der Wasseroberfläche bin, fühle ich mich ein bisschen vor fremden Blicken geschützt.
    Es ist das köstlichste, erfrischendste, belebendste Bad meines Lebens. Der Schmutz wird ebenso abgewaschen wie die Sorgen– mit einem Mal fühle ich mich wieder sauber und frei. Ich löse meinen Zopf und tauche mit dem Kopf unter Wasser. Meine Haare wabern um mein Gesicht. Das Kitzeln an der Kopfhaut fühlt sich gut an. Als ich wieder auftauche, halte ich Ausschau nach Lu. Er sitzt noch immer brav auf seinem Baumstamm und malt mit einem Stöckchen irgendetwas in die Erde. Ach, was soll’s?, sage ich mir und ziehe mir unter Wasser die Wäsche aus. Ich wasche sie notdürftig und lege sie dann zum Trocknen auf einen Stein am Ufer. Weil der Boden des kleinen Sees steinig und glitschig ist, muss ich mich sehr vorsichtig bewegen, um nicht

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