Januarfluss
hinzufallen.
Dann schwimme ich ein paar Züge. Ich bin froh, dass mein Vater mir das Schwimmen beigebracht hat, weil er Angst hatte, ich könne in einem der drei Seen von Ãguas Calmas ertrinken. Eine nicht ganz unberechtigte Sorge, denn es sind schon Leute darin umgekommen. Ich bewege mich zwar nicht gerade wie ein Fisch im Wasser, aber es reicht, um mich an der Oberfläche zu halten, was man von den meisten meiner Zeitgenossen nicht behaupten kann.
Vor dem Wasserfall mache ich halt, sehe noch einmal nach, ob Lu sich auch nicht heimlich umgedreht hat, und stelle mich schlieÃlich direkt unter den Wasserfall. Der kräftige Schwall massiert mir den Nacken und spült alle Müdigkeit aus meinen Knochen. Es ist so wunderbar, dass ich den ganzen Tag darunter stehen bleiben könnte. Ich schlieÃe die Augen und lasse das Wasser, den Strahl durch meine Hände gebremst, in mein Gesicht strömen. Den Mund habe ich leicht geöffnet, damit ich auch etwas davon trinken kann.
Schweren Herzens beschlieÃe ich irgendwann, dass es nun gut sein muss. Ich kann Lu nicht länger da sitzen und warten lassen. Vorsichtig klettere ich aus dem See, dann schüttele ich mich wie ein Hund und werfe meinen Kopf ein paarmal nach vorn und nach hinten, um möglichst viel Wasser herauszuschleudern. AnschlieÃend bündele ich die Haare und drehe sie zu einem Knoten auf meinem Hinterkopf. Von einem der Sträucher an der Uferböschung knicke ich einen kleinen Zweig ab, entferne die Blätter davon und schiebe ihn durch meinen Haarknoten. Es ist ein bisschen mühsam, ihn durch das nasse Haar hindurchzuzwängen, aber als es mir gelungen ist, spüre ich, dass der Knoten halten wird. Immerhin muss ich ja, nass wie ich noch immer bin, in mein Kleid steigen, da soll nicht noch mein Haar den Rücken des Kleids durchnässen.
Als ich angezogen binâ kein leichtes Unterfangen, mit den schlammigen FüÃenâ, nehme ich meine noch feuchte Unterwäsche in die eine und meine Schuhe in die andere Hand. Barfuà gehe ich zu dem Baumstamm.
» So, fertig. «
Lu sieht mich an, dann wandert sein Blick zu meiner Wäsche. Er grinst schon wieder so dreist, sagt aber wenigstens nichts, sondern erhebt sich stumm. Schweigend gehen wir zurück zu seiner Hütte. Dort reibe ich mir mit dem alten Hemd des Stallburschen die FüÃe sauber und ziehe meine Schuhe wieder an. Meine Wäsche hänge ich auf den Stamm eines nahegelegenen Baums. Inzwischen ist es mir völlig egal, was Lu davon hält. Für sittsames Verhalten ist in meinem Leben zurzeit kein Platz.
Dank der hochsommerlichen Hitze trockne ich schnell in meinem Kleid. Ich löse meine Haare aus dem Knoten und kämme sie mit den Fingern, während Lu im Schneidersitz auf seiner Matte hockt und mir zuschaut.
» Hast du heute noch was vor? « , fragt er spöttisch.
Wenn der wüsste⦠Ich überlege, wie viel ich ihm erzählen kann. Zunächst aber, finde ich, ist er mir ein paar Antworten schuldig.
» Ja, um genau zu sein, ich habe heute noch etwas vor. Da ich aber noch ein wenig Zeit bis zu meiner Verabredung habe, können wir uns bis dahin unterhalten. «
» Triffst du deinen Gustavo? «
Verflixt, woher weià er das nun schon wieder? Ist denn gar kein Geheimnis vor diesem Burschen sicher?
» Das geht dich nichts an. «
» Oh doch, das tut es. «
» Dann erklär es mir doch bitte. Ich finde die ganze Situation völlig grotesk, und ich wüsste zu gerne, was hier gespielt wird. Wer bist du? Warum beschützt du mich? Warum lieferst du mich nicht bei der Polizei ab und sicherst dir dieBelohnung? Für jemanden wie dich muss das Geld doch ein Vermögen darstellenâ davon könntest du jahrelang zehren. «
Er sieht mich nachdenklich an. Wieder fallen mir seine bernsteinfarbenen Augen auf. Ich weiÃ, dass sie unbarmherzig wirken können, wie die gelben Augen einer Schlange, doch jetzt sehen sie weich aus wie flüssiger Honig. Er macht nicht den Eindruck, als wolle er mir antworten, also frage ich weiter.
» Woher weiÃt du so viel über mich? Wie lange folgst du mir schon? Was⦠«
» Also « , unterbricht er mich, » zuerst beantwortest du mir ein paar Fragen. Eine vor allem. Darüber habe ich lange gegrübelt, bin aber zu keiner Lösung gekommen. «
» Ja? «
» Wieso bist du von zu Hause abgehauen? Was ist geschehen, dass eine
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