Januskopf
Mann von gestern Morgen? Verabredeten sich Mörder am Telefon zu einer neuen Tat?
Ich denke Unsinn, machte sich Katinka Vorhaltungen. Gewiefte Mörder tun so was nicht.
Aber es gab die anderen: Die Bankräuber, die die Bank vor dem Überfall nicht mal von innen gesehen hatten. Die Vergewaltiger, die ihre Opfer spontan in einer halbwegs brauchbaren Umgebung zu Boden warfen. So brauchbar wie dieses Ufer: Kaum einsehbar, ab vom Schuss. Katinka fuhr hoch. Sie stand immer noch vor denselben Versionen wie tags zuvor: Hatte Ewald die Morde begangen, deren er in den Briefen beschuldigt wurde? Daraus ergab sich die Frage, wer genau davon wusste und zu welchem Zweck er Ewald damit konfrontierte. Anonym, und ohne Geld oder etwas anderes zu erpressen.
Die zweite Version war, dass jemand Ewald die Morde anhängte, obwohl Ewald sie nicht begangen hatte. Warum tat er es? Ganz ohne Risiko war anonyme Post auch nicht.
Schließlich gab es eine dritte Möglichkeit: Der Schreiber probierte es auf gut Glück. Er wusste nicht, ob Ewald der Täter war. Hielt es eventuell für möglich. Aber warum schreibt er diese Briefe, fragte sich Katinka, während sie an der Villa emporsah, in der Markus Isensteins Büro lag. Was hat er davon? Sie zückte ihr Handy und wählte Hardos Nummer. Er antwortete sofort.
»Ach, Palfy«, sagte er gehetzt. »Ich habe wenig Zeit. Kann ich Sie später zurückrufen?«
»Ich hatte Ihnen gestern eine Nachricht hinterlassen und habe mich nur gewundert, warum Sie sich nicht gemeldet haben.«
Er klang sofort alarmiert.
»Warum habe ich die nicht bekommen?«, polterte er los. »Mit wem haben Sie gesprochen?«
Katinka gab vor, den Namen nicht mehr zu wissen.
»Ich muss Ihnen dringend etwas zeigen«, sagte sie. »Wann haben Sie Zeit?«
»Ist was passiert?«
»Sie haben mich doch als Zulieferer für Ihren Fall engagiert.«
»Ich habe nicht den dünnsten Nerv mehr für Scherze«, sagte Uttenreuther schneidend. »Was ist los?«
»Zu kompliziert am Telefon. Wann haben Sie eine Stunde für mich?«
»Heute Abend«, schlug Hardo vor. »Ich brauche eine Pause, wir haben fast die ganze Nacht durchgearbeitet. Wir haben noch einen Mord. Gift. Die Mutter des Toten aus dem Luitpoldhain.«
»Mein Gott!«
»Ich rufe Sie wieder an.« Damit legte er auf.
Katinka war froh darum, dass sie ihn nicht gefragt hatte, ob ein Einbruch am Mühlwörth angezeigt worden war.
Erhitzt stieg sie zur Straße hoch und läutete bei Markus Isensteins Büro. Stille. Sie versuchte die Klingel zu seiner Privatwohnung. Nichts. Markus Isenstein genoss den Sommertag anderswo. Sie wühlte in ihrem Rucksack. Der Dietrich lag warm in ihrer verschwitzten Hand.
12. Gewitterfront
Katinka saß in ihrem Beetle bei offenem Verdeck vor E. T. A. Hoffmanns Bronzeplastik und spähte zum Schillerplatz Nummer sechs hinüber. Sie hasste das Observieren. Die Monotonie überwältigte sie jedes Mal in einer Weise, die sie beinahe depressiv werden ließ. Noch beherrschte sie die Kunst nicht, ihre Gedanken zu beschäftigen, ohne sie von ihrem Zielobjekt abzulenken. Bilder von einem im Sonnenlicht grün glänzenden Fluss zogen vor ihrem Auge hinweg. Sie rief Toms Handy an. Nur aus Neugier, sie würde gern wissen, ob er und Carla schon im Sommerhaus angekommen waren. Der gewünschte Teilnehmer ist zur Zeit nicht erreichbar . Inbrünstig hoffte Katinka, dass er und Carla einen guten Tag haben würden.
Britta nahm nach dem zweiten Klingeln ab.
»Hej, Katinka. Du willst wissen, ob ich was zu deiner verqueren Familie herausgefunden habe!«
»Schon, ja.« Katinka senkte die Stimme.
»Probleme?«
»Ich observiere.«
»Ödnis und Langeweile«, seufzte Britta verständnisvoll. »Aber ich habe einen Leckerbissen für dich, der deine Gedankenwelt eine Weile beschäftigen wird.«
»Schieß schon los.«
»Dein Klient Ewald Isenstein ist vor wenigen Monaten im E. T. A.-Hoffmann-Museum aufgefallen.«
»Warum das?«
»Er ging einer Besucherin an die Gurgel, die sich bei ihrer Freundin über den alten Hoffmann ausließ. Sie bezeichnete ihn als Gruselromantiker. Ewald verstand da gar keinen Spaß.«
»Das gibt’s doch nicht.«
Katinka nahm ihre Sonnenbrille ab. Sie genoss den ersten Sommer mit Kontaktlinsen und schicker, verspiegelter Sportbrille.
»O doch. Er packte ihren Hals und drückte zu. Die Freundin knallte Ewald beherzt einen Regenschirm über die Rübe. Daraufhin ließ er los. Eine Polizeistreife musste eingreifen. Ewald tobte wie irre.«
Wie irre,
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