Januskopf
das Gesicht.
»Nehmen wir mal an, es geht doch nicht um Sex, sondern um Geld!«, spann Katinka den Faden weiter. »Und Dr. Liz Thompson hat eine tragende Rolle.«
Britta zückte einen Taschenspiegel und richtete sich ihr perfekt geschnittenes, schwarzes Haar.
»Geld? Na, Geld ist immer ein Motiv. Ungefähr so: Dr. Thompson hat immense finanzielle Ansprüche, kann ihnen mit ihrem Einkommen nicht nachkommen und tut allerlei, um den Geldspeicher aufzufüllen. Auch anonyme Briefe schreiben.«
Carla wiegte den Kopf.
»Das ist eine fantasievolle Geschichte«, sagte sie. »Aber in unserem Fall gibt die These nichts her: Hier ist kein Geld zu holen.«
»Doch!«, riefen Katinka und Britta wie aus einem Munde. Sie sahen sich an. Britta grinste schief.
»Liz Thompson macht Ewald wirr, er kommt öfter zu ihr in die Praxis, als er es ohnehin tut, und gibt mehr Geld aus. Bestimmt ist er Privatpatient, man hört doch allenthalben, dass die Ärzte nur noch an den Privatkassen verdienen«, sagte Britta.
Carla sah nicht überzeugt aus.
»Kassenbetrug und gute Verbindungen zu einem großen Pharmakonzern könnten es auch tun«, sagte sie. »Hast du nicht erzählt, Ewald wäre nicht mehr so aggressiv, seit er neue Tabletten bekommt? Was ist das für ein Medikament? Ist es in Deutschland überhaupt zugelassen?«
»Carla!«, rief Katinka. Sie schnippte mit den Fingern vor Aufregung. »Liz Thompson könnte Medikamente an Ewald testen. Für eine Pharmafirma. Ihre Beobachtungen verkauft sie weiter. Ja, das könnte gehen.«
Sie sahen einander an.
»Es würde erklären«, sagte Carla schließlich, »warum Ewald mehrmals auf Frauen losging und sie würgte. Zu der Zeit hatte er nicht die richtigen Medikamente. Anders gesagt: Er hatte die völlig falschen Medikamente.«
Katinka sah auf die Uhr. Mit überdeutlicher Klarheit klangen ihr Liz Thompsons Worte im Ohr: ›Bis eine Tablette auf den Markt kommt, wird auch noch die kleinste Reaktion der Testpersonen aufgezeichnet.‹ Aber wo steckten die Patienten, deren Reaktionen man katalogisierte? In Labors? Katinka stellte sich gefesselte Irre vor, die schreiend an ihren Handschellen rissen. Wer wurde überhaupt Testperson? Wurde ein Schläfenlappenepileptiker freiwillig zum Versuchskaninchen? Wie viele Menschen gaben sich für die Wissenschaft her? Reichte ihre Zahl aus, um ausreichende Kenntnisse über das zu testende Medikament zu erlangen?
Katinka legte die Hände auf die Tischplatte und dachte nach. Sechzig Sekunden völliger Stille hüllten sie ein. Sie spürte die neugierigen Blicke der beiden anderen.
»Gebt mir ein paar Minuten«, sagte sie. »Ich muss etwas mit euch besprechen.«
»Sie sind mir eine!«, legte Liz Thompson los. Lässig lehnte sie am Türrahmen ihres Hotelzimmers und wies auf ihre Motorradkluft. »Ich bin eben erst angekommen. Schwitze wie ein Käse.«
Sie trat beiseite, um Katinka ins Zimmer zu lassen.
»Tut mir leid, wenn ich Ihnen die wohlverdiente Ruhe nach Ihrer Tagung streiche.« Katinka ließ ihren Rucksack zu Boden fallen. Es war stickig im Zimmer. Ein schwerer, bodenlanger Vorhang sperrte das Licht aus. Von draußen kam ein Windstoß und beulte den Stoff aus wie einen Blasebalg.
Dr. Thompson schnaubte. Sie warf sich aufs Sofa und sagte:
»Ich höre?«
»Welche Medikamente bekommt Ewald Isenstein zur Zeit?«
»Hübscheste, das fällt unter das Arztgeheimnis.«
»Die Polizei hat die Krankenakte eingesehen.«
»Die Polizei schon, aber eine Privatdetektivin ...« Sie sah Katinka amüsiert an, als hielte sie das alles für ein kurioses Spiel.
»Mein Freund wurde entführt!«, sagte Katinka knapp. »Die Zeit läuft uns davon. Also. Welche Tabletten schluckt Ewald?«
Dr. Thompson blinzelte, als glaube sie kein Wort, wolle Katinka den Spaß aber nicht verderben. Katinka setzte sich auf einen Stuhl am Fenster und drehte sich so, dass die Ärztin das Pistolenholster unter ihrer Jeansjacke sehen konnte. Liz Thompson schien für einen Augenblick starr, dann verzog sich ihr Gesicht zu einem Lächeln.
»Er nimmt seit einigen Wochen Antikonvulsiva«, sagte sie. »Sie haben sich besser bewährt als alles andere zuvor.« Sie betrachtete ihre schmutzigen Fingernägel. »Ewald zeigt nicht die klassische Form des Dostojewski-Syndroms. Die traditionelle Variante sieht so aus, dass Schläfenlappenepileptiker mit Neigung zur Hypergraphie schreiben, bis sie vor Erschöpfung umfallen. Bei Ewald ist das Verlangen zu schreiben kombiniert mit einer Form von
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