Janusliebe
wandte sich zur Tür.
«Sehr freundlich sogar. Ich hatte alle Hände voll zu tun, mich selbst unter Kon-
trolle zu halten.»
Damit entschwand sie ins Badezimmer, plötzlich wieder beschwingt, fröhlich
und so frisch, als habe sie die ganze Nacht wunderbar geschlafen.
«Dann hast du einen dressierten Pudel gesehen, der auf den Namen Lawrence
Carlson Männchen gemacht hat!», rief Daphne ihr hinterher, aber das hörte Carry
schon nicht mehr. Sie stand bereits unter der Dusche, in der Hoffnung, dass das
kalte Wasser sämtliche Erinnerungen an einen Mann mit meerblauen Augen weg-
spülen konnte.
Vincent Carlson sprang aus seinem Sessel und raste in die Empfangshalle,
kaum dass Lawrence den Schlüssel ins Türschloss gesteckt hatte.
«Wo zum Teufel hast du die ganze Nacht über gesteckt?», fuhr Vincent auf
seinen älteren Bruder los, als dieser mit einem debilen Lächeln auf den Lippen die
Halle betrat. Lawrence blieb wie angewurzelt stehen und blinzelte seinen kleinen
Bruder verwirrt an. War das nicht immer sein Part gewesen, den «Kleinen» an-
zufahren, weil er so spät nach Hause kam, und ihn auszufragen, wo er die Nacht
verbracht hatte? Die Umkehrung der Verhältnisse gefiel Lawrence gar nicht.
«Ich bin volljährig», erklärte er seinem Bruder von oben herab. «Und das schon
seit gut zwanzig Jahren. Ich bin dir also absolut keine Rechenschaft schuldig.»
Vincent schnappte nach Luft.
«Na, hör mal!» Er blähte die Brust, um beeindruckender zu wirken. «Da
kommst du die ganze Nacht nicht nach Hause, bist praktisch schon ab dem spä-
ten Nachmittag verschollen, rufst nicht mal an, dein Handy ist ausgeschaltet und
dann darf man noch nicht einmal fragen, was passiert ist?»
Vincent atmete ein paar Mal kräftig durch, um sich zu beruhigen, dann fuhr er
in gemäßigterem Ton fort:
«Ich habe mir schreckliche Sorgen um dich gemacht. Schließlich bist du doch
sonst nicht so unzuverlässig.»
«Du wirst dich von jetzt an daran gewöhnen müssen», erwiderte Lawrence,
schon wieder dieses leicht dämlich-selige Lächeln auf den Lippen, das Vincent
echte Sorgen bereitete.
Gelassen schritt Lawrence an seinem Bruder vorbei und schickte sich an, die
breite Treppe ins Obergeschoss hinaufzusteigen. Auf der ersten Stufe blieb er noch
einmal stehen und drehte sich zu Vincent herum, der mitten in der Halle stand
und aussah, als hätte er einen Stock verschluckt.
«Weißt du, ich habe lange genug für uns beide geschuftet», teilte Lawrence
ihm gut gelaunt mit. «Warum soll ich mir jetzt nicht auch mal ein bisschen Spaß
gönnen? Du tust das bereits seit fünfundzwanzig Jahren. Ich habe also einiges
nachzuholen.»
«Ja ... aber – so plötzlich?» Für Vincent stürzte gerade eine Welt ein.
Ausgerechnet sein strenger, allen Vergnügungen abholder Bruder hegte solch
abenteuerliche Ideen? Es musste etwas ganz Gravierendes passiert sein, das Law-
rence derart verändert hatte, sodass er urplötzlich geradezu ketzerisch daherrede-
te. Oder er war betrunken, aber das konnte Vincent sich schon gar nicht vorstellen.
Lawrence trank nie, nicht mal an seinem Geburtstag.
Die nächsten Worte seines so jäh veränderten Bruders überzeugten Vincent
davon, dass Lawrence schlicht den Verstand verloren hatte.
«So plötzlich, mein Lieber. Du hast es erfasst. Und weißt du, wer mich auf diese
Idee gebracht hat?»
Wie betäubt schüttelte Vincent den Kopf.
«Ein süßer, kleiner Foxterrier.»
Nach dieser überraschenden Verkündigung stürmte Lawrence, immer zwei
Stufen überspringend, die Treppe hinauf. Vincent sah ihm erschüttert hinterher,
aber Lawrence hielt noch eine Überraschung für ihn parat.
«Ich habe mich in ihn verliebt!», hörte er den großen Bruder von oben in die
Halle hinunterrufen. «Und ich glaube sogar, dass ich den süßen kleinen Kerl hei-
raten werde.»
Dann wurde eine Tür zugeworfen, Stille senkte sich über die Halle und das
ganze Haus. Vincent wandte sich, bis ins Mark erschüttert, ab und schlurfte mit
hängenden Schultern in den Salon. Dort ließ er sich in seinen Lieblingssessel fal-
len und legte den Kopf mit geschlossenen Augen gegen die hohe Rückenlehne. Es
gab jetzt unendlich vieles, worüber er intensiv nachdenken musste.
Vincent bedurfte absoluter Ruhe.
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Lawrence versuchte seit einer Stunde einzuschlafen, aber es gelang ihm ein-
fach nicht, Körper und Geist zur Ruhe zu zwingen. Jedes Mal, wenn er die Augen
schloss, sah er Carrys
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