Janusliebe
ihr ins Wohn-
zimmer drang. Froh, dass die Freundin endlich wohlbehalten zurückgekehrt war,
stürzte ihr Daphne entgegen und schloss sie in die Arme.
«Carry, Carry!» Ihre Stimme überschlug sich vor freudiger Erleichterung.
«Ach, Carry, ich dachte schon, dieser Lawrence hätte dich umgebracht und irgend-
wo auf seinem Werksgelände verscharrt.»
«Sei nicht albern», fuhr Carry sie ärgerlich an. Sie schob Daphne einfach bei-
seite und marschierte ins Wohnzimmer, in dem noch immer der Fernseher vor
sich hin brüllte. Carry schaltete ihn aus. Dann ließ sie sich auf die Couch fallen
und streckte aufatmend die Beine von sich.
Daphne beobachtete sie unter zusammengezogenen Brauen.
«Was ist passiert?», erkundigte sie sich vorsichtig, nachdem Carry keine An-
stalten machte, freiwillig ihre Neugierde zu stillen. Als Carry weiterhin beharrlich
schwieg, hakte Daphne nach, diesmal etwas lauter: «Sag endlich, was los ist!»
«Mach mir bitte einen ganz starken Kaffee», bat Carry dumpf. «Wenn ich den
intus habe, kann ich dir vielleicht das Wichtigste erzählen.»
Mit einem artistischen Sprung über einen Sessel, der im Wege stand, war
Daphne in der Küche. Als sie zehn Minuten später mit einer Tasse in den Händen
ins Wohnzimmer zurückkehrte, lag Carry ausgestreckt auf dem Sofa und schien
zu schlafen. Allerdings öffnete sie zu Daphnes Erleichterung sofort die Augen, als
ihr der Duft des frisch gebrühten Kaffees in die Nase stieg.
«Erzähle!», forderte Daphne ungeduldig und drückte der Freundin die Tasse in
die Hände. Carry starrte einen Moment in die schwarze Flüssigkeit, dann stellte sie
eilig die Tasse auf den Tisch und rieb die Hände an ihrem Rock.
«Heiß, heiß!» Sie pustete über ihre Fingerspitzen. «Okay, es ist nichts so gelau-
fen, wie wir es besprochen haben.»
Daphne schluckte betroffen.
«Es ist überhaupt alles ganz anders gewesen. Und wenn mir dein lieber Vin-
cent noch einmal erzählt, dass sein großer Bruder aus Stein sei, dann drehe ich ihm
seinen verlogenen Hals um!»
Daphne riss Mund und Augen auf, was ihrem Gesicht einen nicht gerade intel-
ligenten Ausdruck verlieh. «Ist er ... hat er ...?» Sie schluckte erneut. «Hat er etwa
unserer Hochzeit zugestimmt?»
Carry schüttelte den Kopf.
«Nein.» Sie grinste, aber es wirkte eher boshaft als belustigt. «Aber er war nicht
weit davon entfernt, UNSERER Hochzeit zuzustimmen.»
Daphne fiel vor Schreck in den nächstbesten Sessel. Dort verharrte sie, halb
sitzend, halb liegend, und starrte Carry an, die nach ihrer Tasse griff und behutsam
über die immer noch dampfende Flüssigkeit blies.
«Könntest du mir das alles ein klein wenig genauer erzählen?», bat Daphne,
nachdem sie sich von ihrem Schrecken erholt hatte.
Carry nickte. Zunächst stellte sie ihre Kaffeetasse sorgfältig auf dem Couch-
tisch ab, dessen Unterbau früher als Munitionskiste den Marines gedient hatte.
Dann zog sie die Beine hoch, kuschelte sich in die Polster und legte den Kopf auf
die Rückenlehne.
Zunächst stockend, dann immer fließender begann sie zu erzählen. Daphne
lauschte ihren Worten, die Augen ungläubig geweitet, den Mund leicht geöffnet,
als wollte sie jeden Moment «Halt, stopp, das kann nicht sein!» ausrufen.
Doch sie schwieg, bis Carry ihre Geschichte zu Ende erzählt hatte. Erst, als die-
se mit einem tiefen Seufzer nach ihrer Tasse griff, beugte Daphne sich vor und sah
Carry eindringlich an.
«Und du bist dir ganz sicher, dass es Vincents Bruder war, mit dem du das alles
erlebt hast?»
Carry trank und verzog angewidert das Gesicht. Der Kaffee war inzwischen
kalt.
«Dann ist Lawrence sehr schwer krank», behauptete Daphne überzeugt, als
Carry ihre Frage bejahte. «Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Mal ehrlich,
Carry, der Lawrence M. Carlson, den ich kennen lernen musste, hätte noch nicht
einmal beim Anblick eines dieser Super-Sex-Models, das ihm ihre ballonartig auf-
gepumpten Titten vors Gesicht hält, irgendwie schneller geatmet. Der war absolut
immun gegen alle optischen Reize und so charmant wie eine Klobürste.»
Carry rutschte von der Couch.
«Glaub, was du willst.» Sie gähnte ungeniert. «Für mich war es Lawrence M.
Carlson, der mir am Rockzipfel hing. Auf jeden Fall hat er auf diesen Namen ge-
hört. Im Übrigen mag er durchaus das Temperament einer Valium-Tablette besit-
zen, aber freundlicher als eine Klobürste ist er ganz bestimmt.»
Sie verdrehte genießerisch die Augen und
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