Janusliebe
lachte unbekümmert. «Und das wird er tun müssen, wenn
er in seinem Zorn die Agentur zertrümmert.»
Sie sah zu Carry hinüber, die nervös in ihrem Salat herumstocherte.
«Mach dir keine Sorgen», tröstete Daphne sie zuversichtlich. «Ich bin sicher,
dass Vincent die richtigen Worte gefunden hat. Vielleicht wird doch noch alles
gut.» Carry warf die Gabel auf den Teller.
«Das hoffe ich», murmelte sie aus übervollem Herzen. «Für euch und auch für
mich. Irgendwie hat mir dieser Mann nämlich gefallen, und ich würde ihn gerne
unter glücklicheren Umständen wiedersehen.»
«Ach je!» Daphne sah Carry mitfühlend an. «Schätzchen, das tut mir wirklich
leid. Ausgerechnet in so einen Stoffel wie Lawrence musst du dich verlieben!»
«Ich habe nicht gesagt, dass ich mich in ihn verliebt habe!» Bei Carrys unge-
wollt lautem Protest drehte sich die Dame am Nachbartisch um und sah sie vor-
wurfsvoll an. «Ich habe gesagt, dass er mir gefällt», zischte Carry leiser, damit die
Dame in Ruhe weiteressen konnte. «Das ist ein erheblicher Unterschied.»
Daphne grinste wie ein Troll. «So habe ich am Anfang auch argumentiert.»
Carry hatte genug von dieser Unterhaltung. Sie mochte Daphne wirklich sehr
gerne. Viel lieber als alle ihre anderen Freundinnen. Vielleicht sogar mehr als ihre
jüngere Schwester Cathrine, die vor einem halben Jahr mit ihrem frisch angetrau-
ten Ehemann nach Bremerhaven umgesiedelt war. Ihr Mann Larry war bei der Ma-
rine und für zwei Jahre nach Deutschland versetzt worden. Der Gedanke, dass sie
sich nicht mal eben schnell ins Auto setzen und nach Boulder fahren konnte, um
die beiden zu besuchen, machte Carry immer noch zu schaffen.
«Ich muss los», teilte sie Daphne mit. «In der Redaktion ist mal wieder D-Day.
Wir sehen uns heute Abend irgendwann.»
«Lass dich nicht stressen», riet Daphne vergnügt. «Du weißt, Stress lässt die
Haut schneller altern.» Carry verzichtete auf eine Antwort. Sie legte ein paar Geld-
scheine auf den Tisch, stand auf und ging an den Tischreihen vorbei zum Ausgang.
Dabei kam sie auch an der Dame vorbei, die sie vorhin so entrüstet angestarrt
hatte. Die Frau saß auch jetzt vor ihrem Teller und sah Carry an, als würden ihr
Spinnenbeine statt Haare auf dem Kopf wachsen. Carry tat, als würde sie es nicht
bemerken, aber als sie direkt neben der Dame war, beugte sie sich blitzschnell zu
ihr herunter, machte laut «Buh!» und ging weiter. Der spitze Aufschrei, der ihrer
Attacke folgte, lenkte sofort die Aufmerksamkeit sämtlicher Gäste auf die Dame,
die vor Scham am liebsten zwischen ihre Fritten gekrochen wäre.
Zufrieden mit ihrem Streich verließ Carry eilig das Fastfood-Restaurant.
———————
Carry fühlte sich wie zerschlagen. Sie hatte einen wirklich harten Tag hinter
sich mit einem randvoll gepackten Terminkalender, der sie quer durch Denver
gehetzt hatte, ohne Rücksicht darauf, dass ihr der Schlaf der vergangenen Nacht
fehlte.
Am Abend war dann noch ihr Kollege Robby Taylor in die Redaktion gestürzt
und hatte Carry mit der Bitte überfallen, dass sie doch die Pressekonferenz im «Ro-
yal Scott» übernehmen sollte, weil er selbst einer heißen Story am St. Patrick’s Me-
morial Hospital auf der Spur war.
Zähneknirschend hatte Carry ihren Computer im Stich gelassen und war nach
Littleton gefahren. Als sie gegen zehn Uhr zurückkehrte, blieb ihr gerade noch
Zeit, ihren Artikel in den Computer zu hacken, bevor die übliche Redaktionskon-
ferenz startete.
Aber das lag nun alles hinter ihr. Carry freute sich auf einen ruhigen Feier-
abend, der zwar kurz sein würde, aber dennoch lang genug für ein beruhigendes
Bad und ein Glas Rotwein. Danach würde sie hervorragend schlafen. Müde genug
fühlte sie sich jetzt schon.
Ihr Mini rollte auf den Parkplatz hinter der großen Wohnanlage und reihte
sich zwischen einem Chevy und einem Dodge ein. Zufrieden zog Carry den Zünd-
schlüssel ab, sammelte ihre verstreuten Utensilien in die geräumige Umhängeta-
sche und stieg aus.
«Guten Abend, Carry.»
Der Klang dieser Stimme ließ Carry so heftig zusammenfahren, dass ihr der
Schlüsselbund entglitt. Rasselnd landete er auf dem Asphalt, direkt vor Lawrence’
blank geputzten Schuhen.
Gelähmt vor Schreck musste Carry mit ansehen, wie er sich bückte, die Schlüs-
sel aufhob und sie mit einer aufreizend langsamen Bewegung in seine Mantelta-
sche gleiten ließ.
«Nun, Carry, willst du mich nicht angemessen
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