Jasmin - Roman
herrsche. Wenn Senator Antoine gleich käme, wie er es sich seit dem Krieg zu
späterer Abendstunde zur Gewohnheit gemacht hatte, würde er ihn fragen, ob sie sich auch an ihn gewandt hatten. Und wo war Umm George? Ausgerechnet an einem solchen Abend war sie ausgegangen. Er trat wieder zum Telefon und hob den Hörer ab, um sie anzurufen, damit sie nach Hause käme, doch dann besann er sich. Sollte sie sich ein wenig zerstreuen, sich von Jasmin ablenken, die nicht bei ihnen war, und von diesen schweren Tagen.
Ein lang anhaltendes Klingeln am Eingangstor verkündete die Ankunft des Senators. So war er, ein ungeduldiger Junge. Vielleicht lohnte es sich auch nicht, ihn in seine inneren Konflikte einzuweihen. Denn seine Haltung war unmissverständlich: »Man darf mit den Juden nicht kooperieren. Man darf Israel nicht unterstützen. Und je schlechter es wird, desto besser.«
Am Morgen brach er früher als gewöhnlich zum Restaurant auf. Er goss die Geranien, zupfte welke Blätter ab, schenkte dem Granatapfelbaum einen streichelnden Blick und beschloss den Gärtner zu rufen, damit er sich des Rasens und der Hecke annehme. Danach setzte er sich an seinen Tisch und trank mit kleinen Schlucken ein Glas heißes Wasser mit Minze, das ihm sein Oberkellner zubereitet hatte. Er blickte auf die Uhr und zog sie auf. Um halb neun würde Abu Nabil kommen. Seit sie vor zehn Jahren al-Watan erworben hatten, kam er jeden Morgen ins al-Hurrije. Sie frühstückten, verbrachten ein, zwei Stunden zusammen, unterhielten sich, besprachen die gemeinsamen Angelegenheiten, legten das Thema für den Leitartikel fest. Nur selten wichen sie von dieser Gewohnheit ab. Abu Nabil war ein begabter Schreiber und Formulierer. Wenn ihm das Thema zusagte, stürzte er sich auf das Papier und schrieb in einem Schwung, bedeckte schnell die weißen Seiten mit der grünen Tinte seines Parker Fifty-One. Seine journalistische Ausbildung hatte er in Ägypten absolviert. Dort hatte er als Reporter bei der al-Ahram begonnen und das Handwerk bei den Besten des Fachs gelernt. Gleich im ersten Jahr ihrer Partnerschaft hatte sich die Arbeit zwischen ihnen wie von selbst
aufgeteilt: Abu Nabil konzentrierte sich auf den Bereich der Politik, Abu George bevorzugte Gesellschaft und Kunst. Vielleicht weil er Christ war, eine geschrumpfte Minderheit inmitten eines Meeres von Muslimen, drängte es ihn nicht, Außenseiterpositionen öffentlich zu vertreten, vielmehr zog er es vor, hinter den Kulissen auf Abu Nabil, den Muslim, einzuwirken. Umm George versuchte, ihn von jeglicher politischer Einmischung abzuhalten, sie hatte Zweifel, ob es klug war, eine Zeitung zu besitzen, doch der Virus der Öffentlichkeitsarbeit hatte ihn infiziert, und er konnte seine Hände nicht von der Presse lassen.
Die Druckerei liebte er aus tiefster Seele, besonders die Maschine, die wie von Zauberhand tausende identische Exemplare ausspuckte. Er kam oft nachts, stand mit Anzug und Krawatte neben den Arbeitern in den ölbefleckten Overalls und wartete auf die Seiten der ersten Ausgabe, die aus der Druckerpresse herausrutschten wie ein Säugling aus dem Leib seiner Mutter. Er redigierte die wöchentliche Beilage für Kunst und Literatur, und im Gegensatz zu anderen Zeitungen hielt er die Klatschkolumne über Theater- und Filmschauspieler knapp und veröffentlichte stattdessen Poesie, Philosophisches und Kurzgeschichten.
Die Beschäftigung mit dem Redigieren von Poesie versetzte ihn fast in seine Jugendzeit zurück. Anfang der vierziger Jahre, als seine Tochter Jasmin geboren wurde und sein Glück keine Grenzen kannte, hatte er einen ersten Gedichtband veröffentlicht, der in den Augen von Literaturkennern als Kostbarkeit betrachtet wurde. Als sich die Zeitung ein Leserpublikum erobert hatte, zog Abu George seine alten Geschichten und Gedichte aus der Schublade und veröffentlichte sie unter Pseudonymen oder geliehenen Namen, einmal als Antara ibn Schadad, der arabische Held aus den Tagen der Dschahelia, der Zeit der Unwissenheit vor dem Islam, ein andermal als Tariq ibn Ziad, der Eroberer Spaniens, und einmal als Salah ed-Din al-Ajubi, der kurdische Kämpfer, der die Kreuzritter bezwang. Er wusste nicht, weshalb er ausgerechnet Feldherren wählte, aber die bekannten Namen machten die
Leser neugierig und entzündeten ihre Phantasie. Nicht einmal Abu Nabil verriet er, dass er der Mann war, der dahinter stand. Seine Gedichte handelten zumeist von alltäglichen Problemen, von al-Nakbe, der Niederlage
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