Jasmin - Roman
weißt du, was er mir geantwortet hat? ›So hast du mich erzogen, Papa.‹«
»Auch ich stehe Todesangst aus, dass Jasmin Unsinn macht und sich Abu Amars Leuten in Paris anschließt«, stöhnte Abu George.
»Was soll ich dir sagen, mein Bruder! Wir haben unsere Eltern verehrt wie Allah. Wer hätte ihr Wort entweiht, wer hätte ihnen direkt in die Augen gesehen? Und heute machen die Söhne, was ihnen in den Sinn kommt, und niemand kann etwas dagegen tun.« Abu Nabil stand auf, schüttelte die Brotkrümel von seiner Jacke und sagte: »Ich gehe in die Redaktion.«
»Welche Redaktion? Alles ist stillgelegt.«
»Der Mensch ist erst am Ende, wenn er tot ist.«
9.
DER ÄLTERE BRUDER
Kabi warf einen letzten Blick auf das Krankenhaus, als wollte er sagen, Gott sei Dank, wir sind befreit. »Das war’s, kommt, ich kann es kaum erwarten, die Alten zu sehen, den Geruch von zu Hause zu riechen.«
»Und danach fahren wir zusammen nach Galiläa?«, fragte Sandra zögernd.
»Eine gute Idee, baden wir unsere Augen im See Genezareth und vergessen wir den gelben Staub und die weißen Betten.«
Ich fragte mich, ob auch sie ihn zur Ehe drängte, wie es Jardena mit mir gemacht hatte. Sandra passte zu ihm wie ein Ring an einen Finger. Sie hatte keine Spur der im Land geborenen Israelinnen an sich, von diesem fordernden Anspruch, der einen Mann in die Ecke trieb. Im Gegenteil, gerade ihre Höflichkeit und die zartfühlende Aufmerksamkeit, die von ihr ausgingen, verfestigten die Beziehung. Mama mochte sie und bedrängte Kabi, ihr Geschenke zu kaufen, sie zu uns nach Hause einzuladen, mit ihr nach Eilat zu fahren, und die seltenen Male, die sie kam, verwöhnte sie sie, als wäre sie ihre einzige Tochter.
Als wir ins Auto einstiegen, schaltete sie das Radio ein. Wieder spielten sie »Jerusalem aus Gold«. Kabi lauschte mit gespannter Aufmerksamkeit. »Was für ein Lied«, sagte er aufgewühlt.
»Nationalistischer Schmalz, passend für unsere Vettern«, provozierte ich ihn.
»Mein kleiner Bruder, das ist unser Lied, das Lied der Sehnsucht nach Zion, die Hymne der Massenalija, die sich ihre Zugehörigkeit hier mit Blut erkauft hat.«
»Mein großer Bruder, dieses Lied hat eine privilegierte Sabre,
eine hier im Lande am See Genezareth geborene Israelin aus dem Kibbuz, verfasst. Was hat sie mit der Massenimmigration zu tun?«
»Die jüdische Seele«, warf Sandra ein.
»Bravo«, sagte Kabi und streichelte ihren Arm am Steuerrad in einer raren Geste von Zuneigung. »Weißt du, dass Sandra ›Der Arzt und seine Geschiedene‹ von Agnon übersetzt hat?«
»Was?«, entfuhr mir ein Ausruf der Bewunderung.
»Die Geschichte ist bei Kabi im Tornister, du darfst sie gerne lesen«, lächelte sie verlegen.
Sandra überraschte mich jedes Mal von Neuem. Erst seit sechs Jahren war sie im Land, und schon übersetzte sie Agnon. Kabi dagegen stand auf schlechtem Fuß mit dem Hebräischen. Jahre hatte er beim Sender Kol Israel mit Arabisch vergeudet, eine drängelnde, erstickende Gemeinde von Journalisten und Unterhaltern, völlig versunken in der arabischen Welt und isoliert vom Israelitum. Hätte er sich mit den Einheimischen eingelassen, hätte er eine andere Luft geatmet. Wenn ich das ihm gegenüber äußerte, stichelte er immer, »Ja, mein Sabre« oder »Gut, mein Kibbuznik«. Ich war nicht sicher, ob er beim Mossad jetzt seinen Platz gefunden hatte, im Dunkeln.
Ein seltsamer Gedanke stieg in mir auf: Vielleicht verunsicherte ihn meine neue Stellung. In Bagdad hatte man von ihm wie von jemandem gesprochen, dem Großes bestimmt war, und ich stand stets in seinem Schatten. Wenn Vater uns neue Schuhe kaufte, zog Kabi sie immer sofort an, freute sich und zeigte sie stolz. Ich hob meine auf, wartete auf eine würdige Gelegenheit, hatte meine Freude an der Tatsache an sich, dass ich neue Schuhe hatte, und die Schuhe blieben im Schrank. Ich bewunderte ihn, doch ich wollte nicht wie er sein und auch nicht sein Konkurrent, sondern meinen eigenen Weg gehen. Erst hier in Israel, angefangen mit dem Kibbuz, hatte sich mir eine neue Welt erschlossen, die sich zunehmend erweiterte. Wer hätte das gedacht?
Wir erreichten den Stadtrand Jerusalems und fuhren geradewegs
nach Katamon 5 durch, zur Antigonosstraße 411, Wohnung Nr. 1.
»Vielleicht solltest du dich ein paar Tage bei mir ausruhen«, bot Sandra Kabi an mit Blick auf den Verband um seine Schulter.
»Danke, aber ich will bei den Eltern sein. In zwei Tagen brechen wir beide zu unserem Ausflug auf,
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