Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Jasmin - Roman

Titel: Jasmin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
Vom Netzwerk:
teuer. Hätten wir nicht auf unterschiedlichen Seiten der Barrikade gestanden und hätten sie sich nicht erhoben, um uns zu vernichten, so hätte ich nicht nur Mitleid empfunden, sondern auch Schmerz über eine reiche Kultur, die verarmt war. Wie konnte man ihnen helfen, die Demütigung zu überwinden? Wie rettete man sie − und uns − vor Frustration und Rache? Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, und ich kannte ihn nicht gut genug, um ihn in meine Gedanken einzuweihen. Vielleicht würde er einen Ton von Überheblichkeit heraushören. Also schwieg ich.
    Wieder herrschte peinliche Stille, und wieder nahm er die Gebetskette und drehte ganz langsam daran, sein Blick starrte ins Leere. »Sie wissen, dass ich ein Flüchtling von 48 bin?«, sagte er zuletzt.
    »Ich weiß.«
    »Alles ist wie tot«, seufzte er. »Ich kann Ihnen nichts versprechen.«

    »Warum nicht? Wollen Sie nicht die Zeitung wieder herausgeben, die Hotels wieder aufmachen, die Touristen zurückholen, den Leuten Arbeit geben?«
    »Diese Dinge bestimme ich nicht allein. Man muss die Geschäftsführer versammeln, um einen Beschluss herbeizuführen. Das tue ich nur, wenn ich von Ihnen einen schriftlichen Befehl erhalten habe«, sagte er abschließend und legte seine Visitenkarte auf den Tisch.
    »Morgen früh erhalten Sie ein offizielles Schreiben«, erwiderte ich und stand auf.
    »Und warum ist der Colonel nicht gekommen?«
    »Das ist eine zivile Angelegenheit«, sagte ich.
    »Sie irren sich. Es ist einfacher, dem Befehl des Militärgouverneurs zu gehorchen.«
     
    Er nötigte mir Respekt ab, gerade weil er mir nichts versprach und Haltung bewahrte. Ich war zwar den zeremoniellen Überschwang der Gruß- und Höflichkeitsfloskeln gewöhnt, angenehme Worte, Wünsche und Gesten, Umarmungen und Küsse, ein kompliziertes System liebenswürdiger Sitten, das man in der arabischen Welt im Laufe von Jahrhunderten entwickelt hatte und das sie zu den besten Gastgebern der Welt machte, doch diese überschwängliche Höflichkeit war des Öfteren irreführend. Als große Experten im Tarnen ihrer Gefühle, trainiert in Doppelzüngigkeit, nahmen sie es nicht immer sehr genau mit der Wahrheit, und es kam vor, dass sie dreist logen.
    Nun war ich nicht der gewöhnliche, naive Westler, der ihnen verzaubert ins Garn ging. Und auch Abu George war kein normaler Araber, der das, was in seinem Herzen vorging, hinter überfreundlichen Umgangsformen verbarg. Sein Mund und sein Herz waren eins. Er sagte, was er auf dem Herzen hatte, versank in seinem Schmerz. Er konnte unsere Geschichte nicht nachvollziehen, in unser Herz sehen und unsere Wunden begreifen, in seinen Augen waren wir bloß Eindringlinge, die mit seiner Stadt
umgingen, als sei sie die ihre. Ich musste mich ihm nähern wie jemandem, der in einen Abgrund gefallen war und sich sämtliche Knochen gebrochen hatte, so dass ihn jede kleinste Bewegung schmerzte.

8.
    DAS LEBEN WIEDER IN GANG BRINGEN
    Abu George trat in dem Moment, in dem der israelische Funktionär sein Haus verlassen hatte, zum Telefon. Neben dem Apparat blieb er stehen: Was sollte er Abu Nabil sagen? Und was eilte so, ging etwa sein Schiff unter? Die Hast ist des Teufels. Sie wollten das Leben wieder in Gang bringen? Sollten sie doch!
    Er versuchte, sich von der Frage abzulenken, und ging in den Keller, um eine Flasche holländisches Bier zu holen, doch er fand keine. Möge ihr Haus zerstört werden, dachte er, denn nun konnte er kein Bier importieren, außer sie erteilten ihm die Genehmigung. Er schenkte sich ein Gläschen Wodka ein. Seit den Unruhen, die den Ausbruch dieses verfluchten Krieges herbeigeführt hatten, trank er mehr. Anfangs hatte er aus Hochstimmung heraus getrunken in der Hoffnung, dass der Krieg die Demütigung der Katastrophe von 48, al-Nakbe, tilgen und ihnen ihre Rechte zurückgeben würde. Und nachdem al-Nakse, das Straucheln, das den Fall verursachte, gekommen war, trank er aus Trauer, Verlust und wegen der zerbrochenen Träume. Doch das war noch nicht das Ende.
    Was sollte er morgen seinen Gefährten sagen? Was für eine Frechheit! Da kam der Berater des Ministers zu seinem Haus und bat im Namen der Regierung, das Leben wieder in Gang zu setzen. Und weshalb hatte ihm dieser Colonel, der ihn vertraulich »mein Bruder« nannte, nicht rechtzeitig einen Wink gegeben? Sie waren doch alle Finger derselben Hand. Man musste herausfinden, an wen sie sich noch gewandt hatten. Die Juden waren listig, griffen zu britischen Methoden, teile und

Weitere Kostenlose Bücher