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Jasmin - Roman

Titel: Jasmin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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Antiquitätensammlung in einer Vitrine.
    »Ein Erbe meines Großvaters«, erwiderte er ungeduldig.
    »Und die Bilder an der Wand haben historischen Wert.«
    Statt auf meine Worte mit Höflichkeitsfloskeln zu reagieren, wie bei ihnen üblich, reckte er den Hals und beugte sich nach vorn, als wollte er endlich mein Anliegen hören.
    Ich kam direkt zur Sache. »Ich komme zu Ihnen als Botschafter der Regierung, wir bitten Sie, uns zu helfen, das Leben wieder in Gang zu bringen.«
    Er runzelte die Stirn, umfasste die Kette mit beiden Händen und näherte sie seiner Nase, als röche er an den Bernsteinperlen. »Weshalb sollte ich euch helfen?«
    »Die Menschen müssen leben, sich ernähren, arbeiten. Wir wollen, dass das Leben wieder normal abläuft. Ich habe gehört, dass Dutzende Arbeiter bei Ihnen streiken.«
    »Wenn ihr weggeht, wird alles friedlich an seinen Platz zurückkehren.«
    »Die Geschichte hat ihren eigenen Lauf, und man kann das Rad nicht zurückdrehen. Wir sind jetzt da, und das ist keine flüchtige Episode.« Nach einem kurzen Schweigen fügte ich hinzu: »Versuchen Sie, Partner in uns zu sehen, die Ihnen helfen wollen und Ihre Hilfe benötigen.«
    »Ihr habt unsere Ehre verletzt, ihr habt uns vor unseren Kindern und vor der ganzen Welt beschämt, ihr habt Tausende unserer Volksangehörigen vertrieben, habt die Herrschaft über unsere geheiligten Orte an euch gerissen. Und Sie kommen mitten in der Nacht zu mir und bitten um meine Hilfe? Das Leben wieder in Gang bringen wollen Sie? Von welchem Leben sprechen
Sie?«, sagte er und wurde von einem schweren Hustenanfall ergriffen, der seine Augen rötete.
    »Ich weiß wirklich nicht, was ich an Ihrer Stelle tun würde, aber bitte, Abu George, wer kann die Probleme zwischen uns lösen, wenn nicht wir, wenn wir nicht miteinander reden?«
    »Diese Erde spricht Arabisch!«
    »Diese Erde hier spricht auch Hebräisch und Lateinisch und alle Gebetssprachen«, entgegnete ich mit ruhigem Nachdruck. »Auf diesem Boden müssen wir zusammenleben.«
    »Warum soll man die Situation nicht so lassen, wie sie ist, ohne Arbeit, ohne Versorgung, ohne öffentliche Dienste, ohne alles, damit das Ganze explodiert und in Flammen aufgeht?«
    »Nichthandeln ist auch eine Handlung. Manchmal ist es die zerstörerischste Tat von allen, sagte einmal ein kluger Schriftsteller.«
    Abu George winkte verächtlich ab. »Kein Mensch wird euch in al-Quds bleiben lassen. Ihr werdet hier wieder abziehen, so wie ihr 56 aus dem Sinai und aus Gaza abgezogen seid. Die Geschäftsleute hier sind nicht bereit, finanzielle Verpflichtungen für länger als ein bis zwei Wochen einzugehen. Sie warten darauf, dass ihr abzieht.«
    »Abu George, die Politik ist zwar unbeständig, aber inzwischen muss man leben«, beharrte ich.
    »Eroberer sind hier durchgerollt wie Bälle über einen Spielplatz - Kreuzritter, Osmanen, Engländer. Alle sind wieder abgezogen, und so wird es auch mit euch sein. Kein Eroberer hält hier durch«, sagte er und wischte sich Schweißperlen von der Stirn.
    »Auch ihr seid hier nicht als die ersten Menschen geboren. Wir waren vor euch da. Aber damit wollen wir jetzt nicht anfangen. Auch wenn wir, wie Sie sagen, innerhalb von ein bis zwei Wochen abziehen, weshalb sollte man die Wirtschaft schädigen, warum sollte man nicht gemeinsam für ein geordnetes Leben sorgen?«
    Er blickte vor sich hin, schwieg und fuhr fort, nervös an den Perlen zu drehen.

    »Wenn ihr, die Leitbilder der Öffentlichkeit, nicht helft, wird das Leben ohne euch weitergehen«, sagte ich. Plötzlich entsann ich mich unseres ersten Gesprächs mit Abu Nabil und fügte hinzu: »Abu George, Sie können jetzt Ihre Zeitung wieder herausgeben, wie Sie es verlangt haben.«
    »Ist Ihnen dabei in den Sinn gekommen, dass man mich der Kollaboration beschuldigen kann, dass gesagt werden könnte, ihr hättet mich gekauft? Was kann ich darauf antworten, dass ihr um meine Hilfe und mein Einverständnis nachgesucht habt?«, sagte er aufgebracht und warf die Gebetskette mit einem Knall auf den Tisch.
    »Die Lage ist problematisch, sehr problematisch, aber das Leben muss weitergehen«, beharrte ich.
    Sein Gesicht war grau. Mitleid wallte in mir auf, mit ihm, mit seiner Welt, die zerstört war. Ungleich vielen anderen dachte ich nicht, dass hier eine westliche fortschrittliche Zivilisation eine geschwächte orientalische Kultur überwand. Diese orientalische Kultur war ein Teil meiner Welt, ich war in ihr aufgewachsen, und sie war mir

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