Jasmin - Roman
Politiker, weniger ein Mann des Glaubens. Vielleicht werde ich ihn noch dabei unterstützen, ein bestimmtes Unternehmen aufzubauen.« Sie schwieg einen Augenblick. »Und jetzt«, bat sie mich plötzlich, »könnten Sie mir vielleicht Ihre Denkweise erklären, den Zionismus? Erklären Sie es mir, als sei ich eine Neueinwanderin«, und das letzte Wort sagte sie auf Hebräisch, nicht auf Englisch.
»Ich bin der Neueinwanderer«, korrigierte ich sie. »Sie sind eine Zabarit, eine Einheimische, geborene Jerusalemerin.«
»Wissen Sie«, sagte sie, »ich habe wie verrückt Hebräisch gelernt, um keine Außenseiterin zu sein. Zum Abschluss der Kurse im YMCA erhielt ich eine Auszeichnung in hebräischem Aufsatz, ich bekam sogar ein Geschenk, einen Prachtband mit einer Auswahl von Bialiks Gedichten.«
»Da sehen Sie, was für ein Unterschied zwischen uns besteht. Ich habe Hebräisch auf der Straße gelernt und Sie vom Nationaldichter!«
»Sie haben mir noch nicht Ihre zionistischen Gedanken erklärt.«
»Ich will mit Ihnen in Frieden leben, aber Sie zwingen mich zu Auseinandersetzungen«, sagte ich. Um sie abzulenken, bat ich sie, mir eine Zigarette anzuzünden.
Sie betrachtete mich konzentriert wie ein Schütze, der den Bogen spannt. »Die Zionisten haben etwas Beängstigendes. Sie haben ihre Argumentation kunstvoll perfektioniert, so wie dieser Bluff mit den historischen Rechten. Sie haben ein Talent dafür, Sand als Gold zu verkaufen, mit einer teuflischen Mischung aus Kompetenz und Intensität«, sagte sie und steckte mir eine angezündete Zigarette in den Mund.
»Wir sind ein kleiner Staat, umgeben von Dutzenden Millionen,
die uns vernichten wollen. Ist Ihnen schon einmal in den Sinn gekommen, dass wir Angst haben?«
»Seit wann fürchtet sich der Eroberer vor dem Eroberten, der Starke vor dem Schwachen?«
»Alle unsere Siege sind nur Faustschläge in ein Wattekissen, ein einziger Sieg von euch, und wir schwimmen im Meer. Aber bitte, gönnen Sie Ihrem Fahrer etwas Ruhe, genug von der Politik.«
»Die Starken machen die Politik, die Schwachen reden darüber«, deklamierte sie.
Ich hielt an einem Kiosk bei Kiriat Mosche an, kaufte echte Schokolade und zwei Flaschen Saft. »Bitte.«
»Wenn schon Schokolade, dann nur Silvana, unsere Nationalschokolade. Wissen Sie, bei den Hochzeiten bei uns singen sie für die Braut: ›O du süßes Silvanastück!‹«
»Was bin ich für ein Dummkopf. Wie konnte ich an Schokolade denken, ohne das nationale Problem zu bedenken? Und wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, reden Sie mit Michelle nicht über Politik.«
»Gerade das werde ich aber«, lächelte sie verschmitzt.
»Bonjour, Nuri, bonjour, Jasmin, du siehst wunderbar aus, Violett steht dir ausgezeichnet«, empfing uns Michelle, und sofort vertiefte sie sich mit Jasmin in eine Unterhaltung über Mode und Kleidung in einem heißen Land wie dem unseren, kam irgendwie auf das letzte Buch von Simone de Beauvoir zu sprechen und bemerkte, dass sie nicht verstehe, was eine Frau, die einen »göttlichen Geist in sich« hatte, an »diesem hässlichen Sartre« fand.
Der Klatsch über dieses berühmte Paar interessierte Jasmin offenbar nicht so sehr, denn sie ging zu einem anderen Philosophen über, Frantz Fanon, der zu einer Art Prophet in Dritte-Welt-Kreisen und bei den »Schwarzen Panthern« in den Vereinigten Staaten geworden war. Ich entnahm ihren Worten, dass er auf den Karibischen Inseln geboren wurde, in Frankreich Medizin
und Psychologie studiert hatte und viel über den Einfluss des Rassismus und Kolonialismus schrieb. Jasmin sprach mit Begeisterung von seinem Essay »Black Skin, White Masks«, in dem er seine Erfahrungen als schwarzer Intellektueller in einer von den Werten der Weißen dominierten Welt präsentierte.
Michelle verzog das Gesicht, als dächte sie: »Was hat das hier zu suchen?«, und ich saß abseits, vergessen, lauschte diesen zwei intelligenten Frauen, die miteinander wetteiferten, welche in Bezug auf das europäische Geistesleben auf dem aktuelleren Stand war.
»Kaffee?«, erinnerte sich Michelle plötzlich an mich.
»Nein, danke, ich habe es eilig.«
»Sieht man dich heute Abend?«
»Tut mir leid, aber ich habe einen Termin mit Bischof Karatschi«, antwortete ich und war unangenehm berührt, dass Michelle unsere Treffen in Jasmins Gegenwart erwähnte. Jasmin tat, als hätte sie nichts gehört.
20.
DIE KUNST DES FEILSCHENS
Auf der Rückfahrt vom Jugenddorf geriet ich in einen Stau, eines der
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