J.D.SALINGER Neun Erzählungen
Monaten und Monaten die Wohnung mit mir teilt – ich will gar nicht über ihn sprechen . … Dieser Schriftsteller «, fügte er voller Befriedigung hinzu, möglicherweise weil er sich an eine Lieblingsverwünschung aus einem Roman von Hemingway erinnerte.
»Was hat er getan?«
» Ehrlich gesagt, würde ich nicht sonderlich gern in die Details gehen«, sagte der junge Mann. Den durchsichtigen Humidor auf dem Tisch ignorierte er und zog aus seiner eigenen Schachtel eine Zigarette, die er mit seinem Feuerzeug anzündete. Seine Hände waren groß. Sie wirkten weder kräftig noch geschickt noch empfindsam. Dennoch gebrauchte er sie, als hätten sie einen nicht leicht zu beherrschenden, ganz eigenen ästhetischen Elan. »Ich habe mich e ntschlossen, nicht mal daran zu denken. Aber ich bin nur so wütend«, sagte er. »Ich meine, da kommt diese schreckliche kleine Person aus Al toona, Pennsylvania – oder von irgendwo daher. Anscheinend im Begriff zu verhungern . Ich bin so freundlich und anständig – ich bin der geborene gute Samariter – , ihn in meiner Wohnung aufzunehmen, dieser absolut mikroskopisch kleinen Wohnung, in der ich mich selbst kaum bewegen kann. Ich stelle ihn allen meinen Freunden vor. Lasse zu, dass er die ganze Wohnung mit seinen grässlichen Manuskriptseiten übersät, mit seinen Zigarettenstummeln und Rettichen und was nicht alles. Stelle ihn jedem Theaterproduzenten in New York vor. Schleppe ihm seine dreckigen Hemden zur Wäscherei und wieder zurück. Und die Krönun g all dessen ist – « D er junge Mann brach ab. »Und das Ergebnis meiner ganzen Freundlichkeit und Anständigkeit «, fuhr er fort, »ist, dass er morgens um fünf oder sechs das Haus verlässt – ohne auch nur eine No tiz zu hinterlassen – und alles und jedes mitnimmt, was ihm in die dreckigen, schmutzigen Finger kommt .« E r machte eine Pause, um an seiner Zigarette zu ziehen, und stieß den Rauch in einem dünnen, zischenden Strom durch den Mund aus. »Ich will nicht darüber sprechen. Wirklich nicht .« E r sah Ginnie an. »Ein schöner Mantel ist das«, sagte er, als er schon von seinem Stuhl aufgestanden war. Er ging zu Ginnie und nahm das Revers ihres Polo – Coats zwischen die Finger. »Sehr hübsch. Das erste richtig gute Kamelhaar, das ich seit dem Krieg gesehen habe. Darf ich fragen, wo Sie ihn herhaben?«
»Den hat mir meine Mutter aus Nassau mitgebracht.«
Der junge Mann nickte nachdenklich und zog sich wieder zu seinem Stuhl zurück. »Einer der wenigen Orte, wo man richtig gutes Kamelhaar kriegt .«
E r setzte sich. »War sie lange dort?«
»Was?«, fragte Ginnie.
»War Ihre Mutter lange dort? Ich frage deswegen, weil meine Mutter im Dezember dort war. Und einen Teil des Januars. Für gewöhnlich begleite ich sie, aber in diesem Jahr ging bisher alles drunter und drüber, sodass ich einfach nicht weg konnte.«
»Sie war im Februar dort«, sagte Ginnie.
»Prächtig. Wo hat sie gewohnt? Wissen Sie das?«
»Bei meiner Tante.«
Er nickte. »Darf ich fragen, wie Sie heißen? Sie sind eine Freundin von Franklins Schwester, nehme ich an?«
»Wir gehen in dieselbe Klasse«, sagte Ginnie, womit sie nur seine zweite Frage beantwortete.
»Sie sind doch nicht etwa die berühmte Maxine, von der Selena spricht?«
»Nein«, sagte Ginnie.
Der junge Mann wischte unvermittelt mit der flachen Hand über seine Hosenaufschläge. »Ich bin von Kopf bis Fuß voller Hundehaare «, sagte er. »Mutter war übers Wochenende in Washington und hat ihr Vieh in meiner Wohnung geparkt. Es ist schon ganz lieb. Aber so üble Angewohnheiten. Haben Sie einen Hund?«
»Nein.«
»Ich finde es eigentlich grausam, Hunde in der Stadt zu halten .«
E r hörte auf zu wischen, lehnte sich zurück und schaute wieder auf seine Armbanduhr. »Dass dieser Junge pünktlich ist, habe ich noch nie erlebt. Wir wollen uns Cocteaus › Es war einmal ‹ ansehen, und das ist der einzige Film, bei dem man wirklich pünktlich da sein sollte. Denn sonst ist sein ganzer Charme verloren. Haben Sie ihn gesehen?«
»Nein.«
»Oh, das müssen Sie! Ich habe ihn achtmal gesehen. Absolut total genial«, sagte er. »Seit Monaten versuche i ch, Franklin hinzukriegen .«
H offnungslos schüttelte er den Kopf. »Sein Geschmack. Während des Krieges haben wir beide in derselben grässlichen Fabrik gearbeitet, und dieser Junge musste mich unbedingt in die unmöglichsten Filme der Welt zu schleppen. Wir haben Gangsterfilme, Western, Musicals gesehen –
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