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J.D.SALINGER Neun Erzählungen

Titel: J.D.SALINGER Neun Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
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Hand auf den waagerechten Schenkel. Er schaute weiter auf die Straße hinab. »Die gehen alle zu der verdammten Musterungsstelle«, sagte er. »Als Nächstes kämpfen wir gegen die Eskimos. Hast du das gewusst?«
    »Gegen wen?«, fragte Ginnie.
    »Die Eskimos . . … Sperr doch die Ohren auf, Herrgott.«
    »Warum die Eskimos?«
    »Das weiß ich doch nicht. Woher zum Teufel soll ich das denn wissen? Dieses Mal gehen die ganzen alten Knacker hin. Die um die sechzig. Da können jetzt bloß die hin, die um die sechzig sind«, sagte er. »Die kriegen e infach kürzere Dienstzeiten, sonst nichts . … Na, großartig.«
    » Du müsstest doch sowieso nicht hin«, sagte Ginnie und meinte damit nichts anderes als die Wahrheit, wusste aber noch bevor die Feststellung vollständig raus war, dass sie das Falsche sagte.
    »Ich weiß«, sagte er rasch und nahm den Fuß vom Fenstersitz. Er schob das Fenster ein wenig hoch und schnippte die Zigarette auf die Straße. Dann, als er am Fenster fertig war, drehte er sich um. » H ey . Tu mir einen Gefallen. Wenn dieser Typ kommt, sag ihm, ich bin in drei Sekunden so weit, ja? Ich muss mich bloß schnell rasieren. Okay?«
    Ginnie nickte.
    »Soll ich Selena Beine machen oder sonst was? Weiß sie, dass du da bist?«
    »Ach, die weiß, dass ich da bin«, sagte Ginnie. »Ich habs nicht eilig. Danke.«
    Selenas Bruder nickte. Dann warf er einen letzten, langen Blick auf seinen verletzten Finger, wie um zu sehen, ob der Finger in einem Zustand war, der die Rückkehr aufs Zimmer gestattete.
    »Warum machst du denn kein Pflaster drauf? Hast du denn kein Pflaster oder sonst was?«
    »Nee«, sagte er. »Na. Machs gut .«
    E r schlenderte aus dem Zimmer.
    Nach wenigen Sekunden war er wieder da, mit dem halben Sandwich.
    »Iss das«, sagte er. »Das ist gut.«
    »Ehrlich, ich bin überhaupt nicht – «
    » Nimm es, Herrgott. Ich habs nicht vergiftet oder so.«
    Ginnie nahm das halbe Sandwich. »Na, vielen Dank jedenfalls«, sagte sie.
    »Es ist Huhn«, sagte er, als er vor ihr stand und sie beobachtete. »Hab ich gestern Abend in einem verdammten Feinkostladen gekauft.«
    »Es sieht sehr gut aus.«
    »Dann iss es auch.«
    Ginnie biss davon ab.
    »Gut, hm?«
    Ginnie schluckte mit Schwierigkeiten. »Sehr«, sagte sie.
    Selenas Bruder nickte. Geistesabwesend schaute er sich im Zimmer um, kratzte sich in der Magengrube. »Na, dann zieh ich mich jetzt wohl mal an . … Mann! Da klingelts. Dann machs gut! « U nd weg war er.
     
    Als Ginnie wieder allein war, sah sie sich, ohne aufzustehen, nach einer guten Stelle um, wo sie das Sandwich wegwerfen oder verstecken konnte. Sie hörte jemanden durch den Flur kommen. Sie steckte das Sandwich in die Tasche ihres Polo - Coats.
    Ein junger Mann Anfang dreißig, weder klein noch groß, kam herein. Seine regelmäßigen Züge, sein Kurzhaarschnitt, der Schnitt seines Anzugs, das Muster seiner Foulardkrawatte gaben keine wirklich endgültige Auskunft. Er mochte Redaktionsmitglied bei einem Nachrichtenmagazin gewesen sein oder versucht haben, es zu werden. Er mochte auch einfach in Philadelphia in einem Stück gewesen sein, das abgesetzt worden war. Er mochte einer Anwaltskanzlei angehört haben.
    »Hallo«, sagte er herzlich zu Ginnie.
    »Hallo.«
    »Franklin gesehen?«, fragte er.
    »Er rasiert sich gerade. Er hat gesagt, ich soll Ihnen sagen, Sie sollen auf ihn warten. Er kommt gleich.«
    »Er rasiert sich. Großer Gott .«
    D er junge Mann schau t e auf seine Armbanduhr. Dann setzte er sich auf einen roten Damaststuhl, schlug die Beine übereinander und legte sich die Hände aufs Gesicht. Als wäre er ganz allgemein abgespannt oder hätte sich gerade die Augen überanstrengt, rieb er sich mit den Spitzen der ausgestreckten Finger die geschlossenen Augen. »Das war der grässlichste Vormittag meines ganzen Lebens«, sagte er und nahm die Hände vom Gesicht. Er sprach ausschließlich aus dem Kehlkopf heraus, als wäre er viel zu müde, um seinen Worten etwas Zwerchfellatem mitzugeben.
    »Was ist passiert?«, fragte Ginnie und sah ihn an.
    »Ach . … Das ist eine zu lange Geschichte. Leute, die ich nicht mindestens tausend Jahre kenne, langweile ich nicht .« U nzufrieden starrte er ungefähr in die Richtung der Fenster. »Aber ich werde mich nie wieder auch nur im Entferntesten als Kenner der menschlichen Natur betrachten. Damit können Sie mich hemmungslos zitieren.«
    »Was ist passiert?«, fragte Ginnie erneut.
    »Ach Gott. Dieser Mensch, der seit Monaten und

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