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J.D.SALINGER Neun Erzählungen

Titel: J.D.SALINGER Neun Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
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er durch den Tonfall andeutete, dass die Antwort auf diese Frage hoffnungslos im Dunkeln lag. »Ich habe nach was in dem verdammten Mülleimer gesucht, und der war voller Rasierklingen.«
    »Bist du Selenas Bruder?«, fragte Ginnie.
    »Ja. Lieber Gott, ich verblute noch. Bleib doch. Vielleicht brauche ich ja noch eine verdammte Transfusion.«
    »Hast du was draufgetan?«
    Selenas Bruder hielt die Wunde ein wenig von der Brust entfernt und enthüllte sie für Ginnie. »Bloß verdammtes Toilettenpapier«, sagte er. »Stillt die Blutung. Wie wenn man sich beim Rasieren schneidet .«
    W ieder sah er Ginnie an. »Wer bist du?«, fragte er. »’ne Freundin von der Doofen?«
    »Wir gehen in dieselbe Klasse.«
    »Ach ja? Wie heißt du?«
    »Virginia Mannox.«
    »Du bist Ginnie?«, sagte er und sah sie durch seine Bril l e mit zusammengekniffenen Augen an. »Du bist Ginnie Mannox?«
    »Ja«, sagte Ginnie und stellte die Beine gerade.
    Selenas Bruder wandte sich wieder seinem Finger zu, für ihn offensichtlich der einzig wahre Bezugspunkt im Zimmer. »Ich kenne deine Schwester«, sagte er leidenschaftslos. »Verdammter Snob.«
    Ginnie krümmte den Rücken. »Wer ist ein Snob?«
    »Hast schon verstanden.«
    »Sie ist kein Snob!«
    »Und ob sie einer ist«, sagte Selenas Bruder.
    »Gar nicht!«
    »Und ob sie einer ist. Sie ist die Königin. Die Königin der verdammten Snobs.«
    Ginnie sah zu, wie er die dicke Schicht Toilettenpapier auf seinem Finger anhob und darunterspähte.
    »Du kennst meine Schwester doch gar nicht.«
    »Und ob ich sie kenne.«
    »Wie heißt sie denn? Wie heißt sie mit Vornamen?«, wollte Ginnie wissen.
    »Joan . … Joan der Snob.«
    Ginnie schwieg. »Wie sieht sie aus?«, fragte sie dann plötzlich.
    Keine Antwort.
    »Wie sie aussieht«, wiederholte Ginnie.
    »Wenn sie nur halb so gut aussieht, wie sie glaubt , dass sie aussieht, hätte sie schon verdammtes Glück«, sagte Selenas Bruder.
    Das hatte das Format einer interessanten Antwort, fand Ginnie insgeheim. » Dich hat sie aber nie erwähnt«, sagte sie.
    »Das macht mir Sorgen. Das macht mir höllische Sorgen.«
    »Und außerdem ist sie verlobt«, sagte Ginnie und beobachtete ihn. »Nächsten Monat heiratet sie.«
    »Wen denn?«, fragte er, aufblickend.
    Ginnie nutzte es sofort aus, dass er aufgeblickt hatte. »Keinen, den du kennst.«
    Wieder zupfte er an seiner Erste - Hilfe - Arbeit herum. »Ich bedaure ihn«, sagte er.
    Ginnie schnaubte.
    »Das blutet immer noch wie verrückt. Meinst du, ich sollte was drauftun? Was wäre denn da gut? Taugt Mercurochrom was?«
    »Jod ist besser«, sagte Ginnie. Dann fand sie, dass ihre Antwort unter diesen Umständen zu freundlich war, und fügte noch hinzu: »Mercurochrom ist dafür über haupt nicht gut.«
    »Warum denn nicht? Was ist damit?«
    »Es ist für so was halt einfach nicht gut . Du brauchst Jod.«
    Er sah Ginnie an. »Das brennt aber doch ziemlich?«, sagte er. »Brennt das nicht ziemlich schlimm?«
    »Es brennt schon «, sagte Ginnie, »aber es bringt dich nicht um oder sonst was.«
    Anscheinend ohne Ginnie ihren Ton übel zu nehmen, wandte sich Selenas Bruder wieder seinem Finger zu. »Ich mag es nicht, wenn es brennt«, sagte er.
    »Das mag niemand. «
    Er nickte zustimmend. »Ja«, sagte er.
    Ginnie betrachtete ihn eine Weile. »Mach nicht ständig daran rum«, sagte sie plötzlich.
    Wie als Reaktion auf einen Stromschlag riss Selenas Bruder seine unverletzte Hand zurück. Er setzte sich eine Spur aufrechter hin – oder saß vielmehr eine Spur weniger zusammengesackt da. Er betrachtete einen Gegenstand a m anderen Ende des Zimmers. Ein beinahe verträumter Ausdruck legte sich auf seine wirren Züge. Er steckte den Nagel seines unverletzten Zeigefingers in den Spalt zwischen den beiden Schneidezähnen, entfernte einen Speiserest und wandte sich wieder an Ginnie. »Schwas gegessen?«, fragte er.
    »Was?«
    »Schon Mittag gegessen?«
    Ginnie schüttelte den Kopf. »Ich esse, wenn ich nach Hause komme«, sagte sie. »Meine Mutter hat immer das Mittagessen fertig, wenn ich nach Hause komme.«
    »Ich habe ein halbes Hühnchensandwich in meinem Zimmer. Willst du’s? Ich hab’s nicht angerührt oder sonst was.«
    »Nein danke. Ehrlich.«
    »Du hast doch gerade Tennis gespielt, Herrgott. Hast du denn keinen Hunger?«
    »Das ist es nicht«, sagte Ginnie und schlug wieder die Beine übereinander. »Es ist bloß so, dass meine Mutter immer das Mittagessen fertig hat, wenn ich nach Hause komme. Ich

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