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J.D.SALINGER Neun Erzählungen

Titel: J.D.SALINGER Neun Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
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still und die Lippen fest verschlossen halten können. Ich entnahm dem, dass der Gesangsteil der Probe vorüber war, und bevor die dissonante Sprechstimme der Leiterin den Zauber des Kindergesangs vollends brechen konnte, stand ich auf und verließ die Kirche.
    Es regnete noch stärker. Ich ging die Straße entlang und schaute durchs Fenster vom Aufenthalts raum des Roten Kreuzes, doch an der Kaffeetheke standen die Soldaten zwei, drei Mann tief, und selbst durch die Scheibe konnte ich das Klackern von Tischtennisbällen in einem anderen Raum hören. Ich überquerte die Straße und betrat eine Zivilisten - Teestube, leer bis auf eine Kellnerin mittleren Alters, die aussah, als wäre ihr ein Gast mit einem trockenen Regenmantel lieber gewesen. Ich benutzte den Kleiderständer so feinfühlig wie möglich, setzte mich dann an einen Tisch und bestellte Tee mit Zimttoast. Es war das erste Mal an diesem ganzen Tag, dass ich mit jemandem sprach. Dann durchsuchte ich alle meine Taschen, einschließlich derer meines Regenmantels, und fand dann auch zwei uralte Briefe, die ich noch einmal lesen konnte, einer von meiner Frau, die mir mitteilte, wie sehr der Service bei Schrafft’s Eighty e ighth Street nachgelassen habe, und einer von meiner Schwiegermutter, die mich bat, ihr doch bei der ersten Gelegenheit, wenn ich aus dem »Camp« käme, Kaschmirgarn zu schicken.
    Während ich noch bei meiner ersten Tasse Tee saß, betrat die junge Dame aus dem Chor, die ich betrachtet und d er ich zugehört hatte, die Teestube. Ihre Haare waren triefend nass, und die Ränder beider Ohren waren zu sehen. Sie kam in Begleitung eines sehr kleinen Jungen, unzweifelhaft ihr Bruder, dem sie die Mütze abnahm, indem sie sie mit zwei Fingern vom Kopf hob, als wäre sie eine Laborprobe. Die Nachhut bildete eine effizient wirkende Frau mit einem schlaffen Filzhut – vermutlich das Kinderfräulein. Das Chormitglied traf, während es, den Mantel ausziehend, über den Fußboden schritt, die Auswahl des Tisches – aus meiner Perspektive eine gute, da er nur zwei Meter fünfzig oder drei Meter unmittelbar vor mir stand. Sie und das Kinderfräulein setzten sich. Der kleine Junge, der fünf gewesen sein dürfte, war noch nicht so weit. Er zog seine Matrosenjacke aus und legte sie weg, machte sich dann mit der ausdruckslosen Miene der geborenen Nervensäge methodisch daran, sein Kinderfräulein zu ärgern, indem er seinen Stuhl mehrmals heraus - und hineinschob und dabei ihr Gesicht beobachtete. Das Kinderfräulein forderte ihn wiederholt mit gesenkter Stimme auf, sich zu setzen und damit auch mit dem Theater aufzuhören, doch erst als seine Schwester mit ihm sprach, beruhigte er sich und bequemte sein Hinterteil auf den Stuhlsitz. Sofort nahm er seine Serviette und legte sie sich auf den Kopf. Seine Schwester zog sie ihm weg, faltete sie auseinander und breitete sie auf seinem Schoß aus.
    Etwa um die Zeit, als ihnen der Tee gebracht wurde, ertappte mich das Chormitglied dabei, wie ich die Gruppe anstarrte. Sie starrte mit ihrem publikumabschätzenden Blick zurück und warf mir dann ein kleines, verhaltenes Lächeln zu. Es war seltsam strahlend, wie ein bestimmtes kleines, verhaltenes Lächeln es zuweilen ist. Ich lächelte zurück, weit weniger strahlend, denn ich hielt die Oberlippe über eine kohlschwarze provisorische GI – Füllung , die zwischen zwei Schneidezähnen zu sehen war. Ehe ich’s mich versah, stand die junge Dame mit beneidenswerter Selbstsicherheit an meinem Tisch. Sie trug ein Kleid mit Schottenkaro – ein Campbell, glaube ich. Ich fand, es war ein wunderbares Kleid für ein sehr junges Mädchen an einem so sehr verregneten Tag. »Ich dachte, Amerikaner verachten Tee«, sagte sie.
    Es war nicht die Beobachtung einer Neunmalklugen, sondern einer Wahrheitsliebenden oder Statistikfreundin. Ich entgegnete, manche von uns tränken nie etwas anderes als Tee. Ich fragte sie, ob sie sich zu mir setzen wolle.
    »Danke«, sagte sie. »Vielleicht für den Bruchteil eines Augenblicks.«
    Ich stand auf und zog einen Stuhl für sie heraus, den mir gegenüber, und sie setzte sich auf das vordere Viertel, hielt das Rückgrat natürlich und schön gerade. Ich ging – eilte fast – zurück zu meinem Stuhl, mehr als willens, mich lebhaft an einem Gespräch zu beteiligen. Als ich saß, fiel mir jedoch nichts ein, was ich sagen konnte. Ich lächelte wieder, versteckte dabei noch immer meine kohlschwarze Füllung. Ich bemerkte, dass es draußen ja ein

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