Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

J.D.SALINGER Neun Erzählungen

Titel: J.D.SALINGER Neun Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
Vom Netzwerk:
Sitzfläche liegen.
    Ich erwähnte, er sollte es – ich meinte das Lippengeräusch – sich vielleicht doch lieber aufsparen, bis er seinen Titel richtig führte. Falls er denn ebenfalls einen Titel habe.
    Esmé schaute mich lange und ein wenig kühl an. »Sie haben einen trockenen Humor, nicht wahr?«, sagte sie – sehnsüchtig. »Vater sagte, ich hätte überhaupt keinen Humor. Er sagte, ich sei nicht dafür gerüstet, ins Leben zu treten, weil ich keinen Humor hätte.«
    Den Blick auf sie gerichtet, zündete ich mir eine Zigarette an und sagte, ich glaubte nicht, dass Humor in einer echten Notlage wirklich von Nutzen sei.
    »Vater meinte das aber.«
    Das war kein Widerspruch, sondern eine Glaubenserklärung, daher wechselte ich rasch meine Haltung. Ich nickte und meinte, ihr Vater habe es wahrscheinlich auf lange Sicht gemeint, ich dagegen auf kurze (was immer das bedeutete).
    »Charles vermisst ihn ganz außerordentlich«, sagte Esmé nach einem Augenblick. »Er war ein außerordentlich liebenswerter Mann. Er sah auch extrem gut aus. Nicht dass die Erscheinung besonders wichtig wäre, aber es war so. Er hatte einen schrecklich durchdringenden Blick, und das bei einem Mann, der intransisch freundlich war.«
    Ich nickte. Ich sagte, ich könne mir vorstellen, dass ihr Vater ein ganz außergewöhnliches Vokabular gehabt habe.
    »O ja, durchaus«, sagte Esmé. »Er war Archivar – Amateur natürlich.«
    An der Stelle spürte ich ein hartnäckiges Stupsen am Oberarm, fast einen Hieb aus Charles’ Richtung. Ich wandte mich zu ihm. Er saß nun weitgehend normal auf seinem Stuhl, nur dass er ein Knie unter sich geschoben hatte. »Was hat eine Wand zur anderen gesagt?«, fragte er schrill. »Das ist ein Rätsel!«
    Nachdenklich verdrehte ich die Augen Richtung Decke und wiederholte die Frage laut. Dann sah ich Charles ratlos an und sagte, ich gäbe auf.
    »Wir treffen uns an der Ecke!«, erfolgte die Pointe in höchster Lautstärke.
    Am besten kam das bei Charles selbst an. Er fand es unerträglich lustig. Esmé musste sogar zu ihm und ihm auf den Rücken klopfen, als hätte er einen Hustenanfall. »Nun hör aber auf«, sagte sie. Sie ging zurück zu ihrem Stuhl. »Das Rätsel gibt er jedem auf, dem er begegnet, und hat dann jedes Mal auch einen Anfall. Meistens sabbert er, wenn er lacht. Nun hör bitte auf.«
    »Das ist aber auch eines der besten Rätsel, die ich gehört habe«, sagte ich, den Blick dabei auf Charles, der sich ganz allmählich wieder fasste. Als Antwort auf dieses Kompliment rutschte er auf seinem Stuhl beträchtlich tiefer und verbarg wieder das Gesicht unter einem Zipfel des Tischtuchs bis an die Augen. Dann sah er mich mit seinen unverhüllten Augen an, in denen eine sich langsam legende Freude und der Stolz dessen aufschienen, der so manches richtig gute Rätsel kennt.
    »Darf ich fragen, welchem Beruf Sie vor dem Eintritt in die Armee nachgegangen sind?«, fragte mich Esmé.
    Ich sagte, ich sei überhaupt keinem Beruf nachgegangen, ich sei erst seit einem Jahr mit dem College fertig und betrachte mich gern als professionellen Autor von Kurzgeschichten.
    Sie nickte höflich. »Veröffentlicht?«, fragte sie.
    Das war eine vertraute, aber immer heikle Frage und eine, die ich nicht einfach eins, zwei, drei beantwortete. Ich begann mit der Erklärung, dass die meisten Redakteure in Amerika ein Haufen »Mein Vater hat wunderschön geschrieben«, unterbrach mich Esmé. »Einige seiner Briefe bewahre ich für die Nachwelt auf.«
    Ich sagte, das fände ich eine sehr gute Idee. Zufällig blickte ich wieder auf ihre Armbanduhr mit dem riesigen Zifferblatt, die aussah wie ein Chronograf. Ich fragte sie, ob die Uhr einmal ihrem Vater gehört habe.
    Feierlich schaute sie auf ihr Handgelenk. »Ja«, sagte sie. »Er gab sie mir, kurz bevor Charles und ich evakuiert wurden .«
    B efangen nahm sie die Hände vom Tisch und sagte: »Natürlich rein als Andenken .«
    S ie lenkte das Gespräch in eine andere Richtung. »Ich würde mich extrem geehrt fühlen, wenn Sie einmal eine Geschichte ausschließlich für mich schrieben. Ich bin eine eifrige Leserin.«
    Ich sagte ihr, das würde ich gewiss tun, wenn ich könnte. Ich sagte, ich sei nicht sonderlich produktiv.
    »Sie muss gar nicht schrecklich produktiv sein! Nur so, dass sie nicht kindisch und albern ist .«
    S ie überlegte. »Besonders mag ich Geschichten über Elend.«
    »Über was?«, fragte ich und beugte mich vor.
    »Elend. Elend interessiert mich

Weitere Kostenlose Bücher