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J.D.SALINGER Neun Erzählungen

Titel: J.D.SALINGER Neun Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
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ist dann deine Flotte ?«
    »Meine Flotte. Gut, dass du mich danach fragst«, sagte Boo Boo und machte Anstalten, sich in das Dingi hinabzulassen.
    »Raus da!«, befahl Lionel, ohne jedoch schrill zu werden, und hielt den Blick weiter gesenkt. »Hier kann niemand rein.«
    »Nicht ?«
    B oo Boos Fuß berührte schon den Bug des Bootes. Gehorsam zog sie ihn auf Höhe des Anlegers zurück. »Wirklich niemand ?«
    S ie ging wieder in den Schneidersitz. »Warum nicht?«
    Lionels Antwort war vollständig, aber, wie zuvor, nicht laut genug.
    »Was?«, fragte Boo Boo.
    »Weil es nicht erlaubt ist.«
    Boo Boo, den Blick unverwandt auf den Jungen gerichtet, sagte eine volle Minute lang nichts.
    »Das tut mir leid«, sagte sie schließlich. »Ich würde doch so gern zu dir ins Boot kommen. Ich sehne mich so nach dir. Ich vermisse dich so sehr. Ich bin den ganzen Tag allein zu Hause gewesen, niemand ist da, mit dem ich reden kann.«
    Lionel schwenkte die Pinne nicht. Er untersuchte die Maserung des Holzes am Griff. »Du kannst doch mit Sandra reden«, sagte er.
    »Sandra hat zu tun«, sagte Boo Boo. »Und überhaupt will ich nicht mit Sandra reden, sondern mit dir. Ich will zu dir in dein Boot kommen und mit dir reden.«
    »Du kannst auch von da aus reden.«
    »Was?«
    »Du kannst auch von da aus reden.«
    »Nein. Das ist zu weit weg. Ich muss näher rankommen.«
    Lionel schwenkte die Pinne. »Hier kann niemand rein «, sagte er.
    »Was?«
    »Hier kann niemand rein.«
    »Und sagst du mir dann von dort aus, warum du wegläufst?«, fragte Boo Boo. »Nachdem du versprochen hattest, dass es damit vorbei ist?«
    Auf dem Deck des Dingis, neben der Heckbank, lag eine Taucherbrille. Als Antwort schob Lionel das Gummiband der Brille zwischen den großen und den zweiten Zeh seines rechten Fußes und schnippte die Brille mit einer flinken, kurzen Beinbewegung über Bord. Sie ging sofort unter.
    »Das ist toll. Das ist ja konstruktiv«, sagte Boo Boo. »Die gehört deinem Onkel Webb. Na, der wird sich freuen .«
    S ie zog an ihrer Zigarette. »Die hat mal deinem Onkel Seymour gehört.«
    »Mir doch egal.«
    »Das sehe ich. Ja, das sehe ich«, sagte Boo Boo. Ihre Zigarette klemmte in einem eigentümlichen Winkel zwischen zwei Fingern; sie brannte gefährlich nahe an einer Knöchelkerbe. Plötzlich spürte Boo Boo die Hitze und ließ die Zigarette auf die Seeoberfläche fallen. Dann nahm sie etwas aus einer ihrer Seitentaschen. Es war ein Päckchen, ungefähr von der Größe eines Kartenspiels, in weißes Papier eingeschlagen und mit einem grünen Band umwickelt. »Das ist eine Schlüsselkette«, sagte sie, als sie spürte, wie sich die Augen des Jungen darauf richteten. »Genau wie die von Papa. Aber mit viel mehr Schlüsseln dran als an Papa’s. An der hier sind zehn Schlüssel.«
    Lionel beugte sich auf der Bank vor und ließ die Pinne los. Er streckte die Hände zum Fangen aus. »Wirfst du sie?«, sagte er. »Bitte?«
    »Bleiben wir noch einen Moment sitzen, Schätzchen.
    Ich muss ein wenig nachdenken. Eigentlich sollte ich diese Schlüsselkette in den See werfen.«
    Lionel starrte mit offenem Mund zu ihr herauf. Er schloss den Mund. »Die gehört mir«, sagte er, schon weniger kategorisch.
    Boo Boo sah zu ihm hinunter und sagte achselzuckend: »Mir doch egal.«
    Lionel lehnte sich langsam auf der Ruderbank zurück und griff, seine Mutter im Blick, hinter sich nach der Pinne. Seine Augen spiegelten reine Einsicht, wie seine Mutter es erwartet hatte.
    »Hier .«
    B oo Boo warf das Päckchen zu ihm hinunter. Es landete mitten auf seinem Schoß.
    Er betrachtete es auf seinem Schoß, nahm es, betrachtete es in seiner Hand und schleuderte es – seitlich – in den See. Danach schaute er sofort auf Boo Boo, die Augen nicht voller Trotz, sondern voller Tränen. Und noch einen Augenblick später war sein Mund zu einer waagerechten Acht verzerrt, und er weinte heftig.
    Boo Boo stand auf, behutsam wie jemand, dessen Fuß im Theater eingeschlafen ist, und ließ sich in das Dingi hinab. Einen Augenblick darauf war sie auf der Heckbank, hatte den Skipper auf dem Schoß und wiegte ihn und küsste ihn in den Nacken und gab bestimmte Meldungen aus: »Matrosen weinen doch nicht, Baby. Matrosen weinen nie. Erst wenn ihr Schiff sinkt. Oder wenn sie Schiffbruch erleiden, auf einem Floß oder so, und nichts zu trinken haben außer – «
    »Sandra hat – Mrs Snell gesagt – dass Papa ein großer – sentimentaler – kike* ist.«
    * Unübersetzbarer

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