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Je länger, je lieber - Roman

Je länger, je lieber - Roman

Titel: Je länger, je lieber - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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waren. Aber das, was ihre Arbeit und ihre Ehe zu etwas Einzigartigem hätte machen können, war sie – Mimi. Doch dass sie die Freiheit hatte, ihr Leben selbst auszugestalten und zu entscheiden, was wirklich zählte und was nicht, begriff sie erst jetzt, als sie über die Autobahnbrücke fuhr. Wie viele Menschen auf der Welt verlebten eigentlich einfach so ihr kostbares Leben, ohne diese simple wie wunderbare Einsicht zu haben, die sie jetzt hatte? Dass sie frei war herauszufinden, was sie tatsächlich wollte. Hauptsache, sie hatte Freude daran! Die Freude war das Besondere, nicht das, was dabei herauskam.
    Sollte sie sich bei René bedanken, dass er sie aufgeweckt hatte? Hatten ihre Eltern überhaupt so verbissen gearbeitet, oder hatte Mimi das nur angenommen, weil sie erfolgreich waren? Kam denn der Erfolg mit der Verbissenheit oder ganz von selbst mit der Hingabe an das, was man tat?
    Warum hatte René keinen Versuch unternommen, ihre Ehe zu einer besonderen zu machen? Vielleicht weil er es auch nicht besser gewusst hatte!
    Gegen zehn Uhr abends bog Mimi auf den Vorplatz eines kleinen französischen Landhotels in der Nähe von Avignon ein, das von violett blühenden Lavendelfeldern umgeben war. Sie holte ihren Rollkoffer vom Rücksitz und trat ein in das niedrige Bauernhaus. Im gläsernen Anbau, der sich an das alte Gemäuer schmiegte, saßen die Gäste bei romantischem Kerzenlicht und prosteten sich zu. Nur Verliebte. Es war eine absolute Postkartenidylle, die sich Mimi hier bot, und doch hätte sie auf der Stelle losweinen können. Da war wieder diese ungewohnte Gewissheit, eine alleinstehende Frau zu sein. Hätte sie Bruno doch nicht so widerstandslos gehen lassen dürfen? Hatte da die alte Mimi wieder viel zu schnell für Ordnung sorgen wollen, anstatt sich ganz ehrlich zu fragen, was sie für ihren Jugendfreund empfand? Oder hatte sie tatsächlich geglaubt, sie und René würden wieder zusammenfinden? Obwohl sie sich selbst bei ihm nie bewusst darüber klar geworden war, was er ihr bedeutete. Womöglich war beides ein Fehler: Bruno gehen zu lassen und sich nie gefragt zu haben, was René und sie miteinander verband.
    Hilflos drehte sie sich in dem Vorraum um. Gab es denn hier niemanden, den sie nach einem Zimmer fragen konnte? Diese geballte Romantik war nicht auszuhalten. Mimi haute auf die silberne Klingel, die auf dem Rezeptionstresen stand. Der schrille Klang durchschnitt die sanfte, schwebende Stimmung, und Mimi hatte das ungute Gefühl, dass sich sämtliche Restaurantgäste erstaunt zu ihr umdrehten, als hätte sie alle auf einen Schlag aus ihrem märchenhaften Traum gerissen.
    Sie richtete den Blick auf den Vorhang hinter dem Tresen, der nun gemächlich zur Seite gezogen wurde. Ein älterer Herr kam heraus. Ohne aufzusehen, blätterte er in dem Gästebuch herum. Dann griff er in den Schlüsselkasten, der neben ihm hing, entnahm einen Schlüssel mit dunkelroter Quaste und legte ihn vor Mimi hin. Endlich blickte er auf. »Vous voyagez seul?«
    »Qui.« Mimi lächelte gequält und griff nach dem Schlüssel. Ja, sie reiste alleine, und sie würde damit klarkommen. Auf die Freude kam es an. Sie nahm ihren Rollkoffer und schlurfte in Badelatschen über die Terrakottafliesen, während der alte Mann noch hinter ihr herrief, dass das Frühstück ab acht Uhr im Restaurant serviert wurde. Aber da würde Mimi schon längst wieder aufgebrochen sein. Morgen Vormittag um elf Uhr war sie mit Antoni Fuchs in Barcelona verabredet.
    In der Mitte des Gangs schloss sie ihre Zimmertür auf und trat in den kühlen Raum, hinter dessen Fenstern sich palmenartige Büsche rauschend im Wind bewegten. Im Hintergrund leuchtete blautürkis der angestrahlte Pool. Als sie sich im Badezimmer die Hände wusch, brach draußen mit einem Mal ein ohrenbetäubender Wolkenbruch los. Dicke Tropfen prasselten auf die federnden Gewächse vor ihren Fenstern, deren gefächerte Blätter sich im niederstürzenden Regen heftig schüttelten. Die Regentropfen zerplatzten auf der hellblauen Wasseroberfläche des Pools; für einen Augenblick tauchte die gesamte Umgebung aus dem Schwarz der Nacht im gleißenden Licht des Blitzes auf. Eilig schlüpfte Mimi unter die Bettdecke. Das Wasser schoss in Sturzbächen vom Dach. Der Donner rollte grollend über die Felder hinweg. Und sie lag allein in einem fremden Bett. Am Morgen war sie von dieser Freiheit noch berauscht gewesen. Nun wünschte sie sich, dass sie die Zeit hätte zurückdrehen können. Nur um ein

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