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Je länger, je lieber - Roman

Je länger, je lieber - Roman

Titel: Je länger, je lieber - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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verloren geglaubten Sohn in die Arme. Er war zurück. Ihm ging es gut. Er lebte. Jacques legte ihm die Hände auf die Wangen, während beiden die Tränen herunterliefen. Immer wieder flüsterte Jacques ungläu big seinen Namen. »Pedro!« Und sein Sohn lächelte. »Papa. Ich habe dich so vermisst.«

36

    Unterwegs, 2013
    »Heute geht überhaupt kein Flieger mehr?« Mimi blickte fassungslos in das freundliche Gesicht der Lufthansa-Mitarbeiterin, die verschanzt hinter ihrem Monitor saß.
    »Leider nicht. In ganz Spanien streiken seit heute Morgen die Fluglotsen. Um sich unnötige Wartezeiten zu ersparen, können Sie nächstes Mal unsere Hotline anrufen …« Die Frau in der blauen Uniform legte eine Visitenkarte vor Mimi auf den Tresen und markierte mit Leuchtmarker die Hotline-Nummer.
    »Vielen Dank.« Mimi nahm die Karte und drehte sich um. Hinter ihr hatte sich die Abfertigungshalle mit lauter Menschen gefüllt, die ungläubig auf die Abflugstafel starrten, auf der sämtliche Flüge nach Spanien gestrichen wurden. Einige der Leute hatten es sich schon auf den Bänken und dem Boden gemütlich gemacht, ihre Bücher und iPads rausgeholt oder blätterten in Zeitschriften. Mimi konnte hier nicht tatenlos herumsitzen. Sie wendete sich wieder der Lufthansa-Mitarbeiterin zu. »Entschuldigen Sie, noch eine Frage. Wäre es denn möglich, dass ich mit einem der nächsten Flieger mitkommen kann?«
    »Das kann ich Ihnen nicht garantieren.« Die Frau in der blauen Uniform lächelte noch immer freundlich. »Wir versuchen, für sämtliche Ausfälle Ersatzflüge an zubieten, aber es kann durchaus sein, dass Sie bis morgen Nachmittag …«
    »Danke.« Mimi wandte sich endgültig ab und drängte sich zwischen den Wartenden und den Kofferbergen hindurch. Sie musste nach Barcelona zu Antoni Fuchs, um von ihm die Echtheit des Gemäldes bestätigt zu bekommen und ihn dazu zu bringen, alle Hebel in Bewegung zu setzen, dieses unbekannte Casado-Werk aufzutreiben. Wenn stimmte, was Doktor Felsenstein über den Gesundheitszustand ihrer Großmutter sagte, dann blieb Mimi nicht mehr viel Zeit, Jacques zu finden. Sie mochte nicht einmal über die Möglichkeit nachdenken, dass er nicht mehr lebte, was nur wahrscheinlich war. Doch selbst wenn sie nur das am Ende mit Gewissheit sagen konnte, dann hatte sie alles in ihrer Macht Stehende getan, um ihrer Großmutter das zurückzugeben, was Mimi von ihr bekommen hatte. Die Gewissheit, dass jemand bereit war, sich ihrer bedingungslos anzunehmen.
    In der Tiefgarage schob sie ihren Rollkoffer auf den Rücksitz und gab, ohne weiter darüber nachzudenken, ihr Fahrziel ins Navigationssystem ein. Barcelona. Sechzehn Stunden und sechsundzwanzig Minuten. Sie startete den Motor und fuhr rückwärts aus der Parklücke, die Rampe hinauf und in den heißen Spätsommermorgen. Als hätte sie es bereits geahnt, dass diese lange Fahrt vor ihr liegen würde, hatte sie sich am Morgen Badelatschen, einen weiten Sommerrock und ein T-Shirt angezogen. Sie stellte das Radio an und fuhr hinaus auf die Autobahn, in den strahlend blauen Tag hinein. Sechzehn Stunden und sechsundzwanzig Minuten. Ein ganzer Arbeitstag. Eigentlich gar nicht so viel.
    Sie fuhr einfach mit dem Auto nach Spanien. War das verrückt? War das unvernünftig? Warum war sie eigentlich nie mit René einfach drauflosgefahren? Sie hatten sich nie vom Fleck weg bewegt, mit der vorgeschobenen Begründung, dass sie so viel Wichtigeres zu tun hätten. Und irgendwann hatten sie selber daran geglaubt. Warum hatte René sie nicht einfach gezwungen, sich neben ihn in den Wagen zu setzen, um gemeinsam ein Abenteuer zu erleben. Bisher war das Reisen immer nur geschäftlich begründet gewesen. Nie privat. Nie hatte sie sich als private Mimi auf Reisen erlebt. Überhaupt hatte es eine private Mimi nicht gegeben. Nur die gehetzte Galeristin, die allen gerecht werden wollte, die immer pünktlich kam, die verlässlich alles vorbereitet hatte, die stets an alles dachte. Wofür? Was war eigentlich dabei herausgekommen?
    Rechts und links der breiten Fahrbahn wogten die sattgrünen Baumkronen der Akazien. Wusste sie eigentlich, was sie sich für ihr Leben wünschte? In Wahrheit hatte sie davon überhaupt keine Ahnung. Auch nicht, wie man eine Ehe führte. Sie hatte sich einfach nur in ihre Arbeit gestürzt, in dem Glauben, dass dies das Richtige war, weil die Menschen überall nur ihre Arbeit machten. Sie war einfach verheiratet gewesen, weil die Menschen überall verheiratet

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