Je mehr ich dir gebe (German Edition)
Er ist in ihre Welt übergetreten, als Engel. Er hat es geschafft. Er ist zu ihr gekommen!
Ein frischer Wind weht übers Bett, ein Herbstwind. Julia steht auf und schließt das Fenster. Dann liest sie die Stellen, die sie gestern nur überflogen hatte, über seine Kumpels, seine Eltern, seinen Alltag ohne Julia – wobei sie völlig in seinem Alltag verwurzelt war, wenn auch nur für ein paar Wochen. Aber Zeit ist relativ. Ihr kommt es wie eine Ewigkeit vor.
Sie bleibt bei einem Eintrag hängen:
Kolli ist nun in Marburg, er studiert da Medizin. Wenn ich doch nur wüsste, was ich studieren will. Julia sagt, ich soll mit irgendwas anfangen, aber meine Eltern zahlen nicht für »irgendwas«. Sie wollen Entscheidungen. »Du bist alt genug, Junge. Heutzutage kann man sich Rumgammeln nicht mehr leisten.« Wie ich solche Sprüche hasse!
Julia legt das Buch zur Seite. Kolli ist in Marburg? Dann ist Kolli ja gar nicht Kolja. – Moment mal, dann war Kolja gar nicht mit Jonas in der Schweiz! Und wer ist dann Kolli?
Julia springt aus dem Bett. Wenn Kolja nicht mit ihm in der Schweiz war, wieso hat er ihr dann all das erzählt?
Sogar von dem Onkel in Bern … und den »Menüs« am Campingkocher.
Und dass sie Sheabutter liebt, hat er auch aus Jonas’ Tagebuch. – Wie er sie nach dem ersten Baden damit eingecremt hat. Sie hatte sich schon gewundert, dass er Sheabutter in seinem Badezimmer hat, und gedacht, es wäre ein Überbleibsel von einer früheren Freundin – oder hat sie überhaupt etwas gedacht? Auf jeden Fall hat sie es sehr genossen, damit eingecremt zu werden, sie wollte ihm jedoch nicht sagen, dass sie das liebte, just shea , denn das gehörte nur Jonas und ihr, und Kolja hatte an dem Tag Jonas zu ihr geholt.
Und Fat Freddy’s Drop – Melone mit Schinken – Kolja hat alle ihre Vorlieben aus Jonas’ Tagebuch!
Er hat ihr also die ganze Zeit was vorgespielt. Jonas als Vorwand benutzt, um an sie ranzukommen!
Ihre Hände zittern. Sie verwählt sich zweimal. Dann ist endlich Anne dran.
»Hier ist Julia. Anne, weißt du, wer Kolli ist?«, fällt sie mit der Tür ins Haus.
»Stefan Kolberg«, sagt Anne prompt, als beantworte sie eine Preisfrage.
»War er ein guter Freund von Jonas?«
»Er war sein bester Kumpel, soweit ich weiß. Ist kurz bevor er dich kennengelernt hat nach Marburg gezogen.«
»Dann war Kolja gar nicht Jonas’ bester Freund?«
»Kolja doch nicht! Das versuche ich dir doch schon die ganze Zeit zu verklickern.«
Eine schwarze Katze huscht über den Bürgersteig in einen Hauseingang. Mocca, bleib stehen!
Julia ist, als würde der Teppich unter ihren Füßen weggezogen werden.
»Was ist los, Julia? Wollen wir uns treffen? Was willst du wissen? – Hast du endlich die Nase voll? Über Kolja kann ich dir einiges erzählen.«
»Kannst du jetzt sofort?«
»Ja. Treffen wir uns bei Fräulein Frost ? Ich bin eh gerade bei Karstadt , am Hermannplatz.«
»Nein«, sagt Julia. »Lieber am Kanal. Bei Goldmarie .«
»Gut, bin in einer halben Stunde da.«
Sie will gerade aus dem Haus, da kommt ihr Kolja entgegen, mit einer Tüte frischer Brötchen.
»Was ist denn mit dir los?«
Sein Blick brennt auf der Haut; sie huscht an ihm vorbei, nimmt zwei Stufen auf einmal.
»Julia!«
Sie rennt aus der Haustür. Keine Minute später hat Kolja sie eingeholt. Sie stehen an der Kreuzung am Südstern, Kolja hat sie mit einer Hand an den Schultern gepackt.
»Was ist los mit dir?«
»Lass mich in Ruhe!«, schnauzt sie ihn an und reißt sich los, rennt bei Rot über die Ampel. Ein Auto muss voll auf die Bremse, der Fahrer schimpft ihr hinterher. Julia rennt. Auf der Körtestraße, am Magnolia -Blumenladen, ist Kolja dicht hinter ihr, fasst sie am Arm und schleudert sie herum. Die Tüte reißt, ihm fallen die Brötchen aus der Hand und kullern über den Gehsteig.
»Bleib doch verdammt noch mal stehen!«
»Nein!«, schreit sie ihn an. Eine Blumenverkäuferin, die gerade Astern nach draußen in ein Regal gestellt hat, schaut zu ihnen herüber. Kolja sammelt schnell die Brötchen ein, Julia läuft weiter. Kolja holt sie ein, geht jetzt neben ihr.
»Lass mich in Ruhe, Kolja!«
»Nicht bevor du mir sagst, was los ist.«
»Du hast alles aus Jonas’ Tagebuch! Ihr seid gar keine besten Freunde gewesen. Seelenverwandt, pah, dass ich nicht lache. Du hast alles nur benutzt, um …«
Kolja beißt sich auf die Lippen. Sein Blick brennt sich in ihre Augen. Sie hält ihm stand.
»… ich weiß nicht,
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