Je mehr ich dir gebe (German Edition)
müde«, sagt Mama und gähnt. »Aber ich will mir eben noch die Dokumentation über den Prager Frühling zu Ende anschauen. Sehr interessant. Wollt ihr nicht doch noch …?«
Ein Blick genügt und Mama zieht ab. Papa hinterher. Kolja und sie stehen noch auf dem Flur.
»Du bist sauer, wegen heute Abend«, flüstert Kolja. »Stimmt’s? Es tut mir so leid, dass ich das erste Mal so schnell gekommen bin, aber du hast mich so heiß gemacht, mit dem Kleid, und ich wusste ja nicht, was du drunter trägst, und überhaupt …«
»Ist schon gut«, sagt sie.
»Aber danach fandest du es doch auch schön, oder? Da war Jonas dabei, du hast es doch auch gespürt.«
»Bitte, lass mich jetzt. Ich muss mich hinlegen. Wir sehen uns morgen, ja?« Sie wundert sich selbst, wie zart ihre Stimme klingt, als hätte sie sich eine Seidenstrumpfhose über die Stimmbänder gezogen. Und jetzt geht alles einfach, es ist wie eine Szene, die sie übt, denn wenn wir aufhören, das Falsche zu tun, ergibt sich das Richtige von selbst. Entspannt lächeln, dem Liebsten noch ein Abschiedsküsschen geben und dann ab in die Heia. Kolja wird auch ganz locker, glaubt ihr jeden Blick, sie haucht ihm sogar einen Kuss auf die Wange.
»Gut«, sagt er. »Dann bis morgen. Ich hole dich zum Frühstück ab, so gegen 10?«
Julia nickt.
»Ich geh nur noch mal schnell auf die Toilette«, sagt er.
Da kracht ihr beinah die Fassung weg, sie kann sich gerade noch beherrschen, nicht »Nein!« zu schreien, steht da wie vom Blitz getroffen und schaut zu, wie Kolja im Bad verschwindet. Schweiß tritt ihr auf die Stirn – was, wenn er das Tagebuch unter der Badematte entdeckt?
Aus dem Wohnzimmer dringt die Stimme eines Fernsehmoderators – aus dem Bad die Klospülung. Dann steht Kolja wieder vor ihr.
»Meine Julia«, flüstert er. »Du bist ja total blass. Ich wollte dich nicht erschrecken, ich wollte wirklich nicht …«
Er streichelt ihr mit zwei Fingern über die Wange, sie fühlt nichts, ihre Wange ist taub.
»Soll ich dich ins Bett bringen? Hast du Fieber?«
Sie schüttelt den Kopf. Dann geht er endlich, zieht die Tür hinter sich zu. Sie prüft, ob sie wirklich zu ist, geht ins Badezimmer, hebt die Matte an.
Das Tagebuch ist noch da.
Dienstag, 2. März
Liege gerade auf dem Bett in so einem kleinen Gasthof in der Schweiz. Alle zwei, drei Tage leisten wir uns eine richtige Unterkunft, eine mit Dach und Bett und Badezimmer, zwischendurch hauen wir uns einfach mit dem Schlafsack in den Wald. Wildes Campen ist zwar verboten, aber hier rechnet niemand damit, dass man es doch tut. Es ist arschkalt. Zum Glück habe ich meine Schapka mitgenommen, denn 80 % der Körperwärme geht über den Kopf verloren.
Kolli hat einen Campingkocher dabei. Unterwegs koche ich uns Steinpilzomelett mit frischen Kräutern. Oder Tomatensuppe aus der Tüte ☺ . Hier schmeckt alles gut, selbst wenn es aus der Tüte kommt. Dazu ein schönes, kaltes Felsschlösschen!
Später
Bin so froh, dass ich liege, und dann noch so weich. Kolli schnarcht schon. Motorradfahren macht echt müde, ist aber so geil! Besonders die gut ausgebauten Bergstraßen hier. In Orten ist tierisch viel Verkehr, alles verstopft. Aber die Bergstraßen sind der Hit! Ich könnte mein Leben lang Motorradfahren. – Na, Paps, wie wäre das? ;-)
Mittwoch, 3. März
Heute ist unser siebter Tag. Wir sind irgendwo hinter Bern. Morgen besuchen wir Kollis Onkel. Ich freu mich schon auf eine Badewanne! Die Bergspitzen leuchten, es ist arschkalt. Man müsste mal im Sommer herkommen, aber weiß ich, was nächsten Sommer ist? Vielleicht hab ich da gerade irgendeinen verdammten Job und komm nicht weg. Wäre ja nicht das erste Mal. Oder eine Freundin. Mann, was sehne ich mich nach einer Frau! Kolli hat heute zwei Mädels an der Tankstelle angemacht. Sie kamen aus Luzern und hießen beide Heidi ☺ . Mir vergeht ja schon alles, wenn sie anfangen zu reden. Sollen sie doch bei ihrem verdammten Dialekt bleiben, das wäre ja noch zu ertragen, aber wenn sie anfangen, Deutsch zu sprechen, mit diesen Kehllauten und diesen piepsigen, hohen Stimmen … so was von unerotisch! Das mit den zwei Heidis hatte sich dann auch für Kolli erledigt, weil sie zwei Peter im Auto sitzen hatten, die schon so stierig zu uns rüberguckten. – Nix für ungut, Kumpels. Freue mich schon, wenn ich im Sommer nach Holland fahren kann. Da sprechen die Leute zwar auch kehlig, brechen sich aber keinen dabei ab. Überhaupt ist da alles ein bisschen
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