Je mehr ich dir gebe (German Edition)
Gläsern ins Wohnzimmer, machen es sich auf dem schwarzen Ledersofa bequem. Es ist Dienstag – also ist sein Vater wieder nicht da.
»Halt dir mal die Augen zu«, sagt er.
»Warum?«
»Mach einfach. Ich möchte, dass du mit geschlossenen Augen erkennst, was ich dir an die Lippen führe.«
»Was denn?«
»Früchte.«
»Ich soll Früchte erraten?
»Ja. Hast du Lust dazu?«
»Warum nicht?«
Julia schließt die Augen und lehnt sich auf dem Sofa zurück, hört, wie der Crémant perlt und Kolja in der Küche hantiert und dann wiederkommt. Sie soll die Augen zulassen.
»Die Nase bitte auch zuhalten.«
Sie hält sich mit einer Hand die Nase zu. Kolja kniet sich vor sie hin. Etwas Kühles, Feuchtes berührt ihren Mund, sie zuckt leicht zusammen, öffnet den Mund und berührt mit der Zungenspitze die Frucht. Hart und kühl fühlt es sich an, mit kleinen Pünktchen.
»Erdbeere«, sagt Julia.
»Richtig«, sagt Kolja und bittet sie, die Augen zuzulassen. Die nächste Frucht ist prall und glatt. Sie hat keine Ahnung von der Größe, Kolja gibt ihr nur einen Teil zum Kosten. Sie versucht, die Größe der Frucht mit der Zunge zu ertasten, aber Kolja zieht die Frucht immer wieder weg.
»Apfel«, sagt sie und öffnet die Augen. Er versteckt die Frucht in seiner Hand.
»Falsch.« Sie soll die Augen wieder schließen und die Zunge ausstrecken. Er legt ihr die Frucht auf die Zunge. Es ist eine Kirsche. Sie will es sagen, aber da hat sie etwas anderes im Mund. Seine Zunge. Sie öffnet die Augen. Er lacht. Küsst sie. Sie küsst zurück. Von ihr aus hätten sie ruhig noch ein bisschen weitermachen können mit dem Früchteraten.
»Du bist so weich und sinnlich«, sagt er und reicht ihr das Glas. Sie trinken einen Schluck, küssen sich wieder. Der Kuss schmeckt noch besser mit Crémant .
Der ganze Abend wird ein Genuss. Er trägt sie auf Händen ins Schlafzimmer, wie im Film, küsst sich an ihr hinab; sie wälzen sich zwischen roter Satin-Bettwäsche, die Fenster stehen offen, Vorhänge blähen sich wie Segel, unten auf der Straße fahren Autos vorbei, singen Kinder. Spatzen zwitschern. Langsam kommt sie ins Zimmer zurück, noch mit Jonas’ Atem in ihrem Ohr. Kolja reicht ihr die Wasserflasche.
Später sitzen sie wieder im Wohnzimmer. Kolja hat auch Sushi da, eine ganze Platte voller Makri und Nigeri und eine California Roll. Natürlich auch eingelegten Ingwer.
»Lecker!«, sagt Julia und merkt jetzt erst, wie hungrig sie ist. Sie bricht die Holzstäbchen auseinander, nimmt eine Makri mit Avocado und Thunfisch, taucht sie in die Sojasoße, die sie vorher mit einem winzigen Stückchen Wasabi vermischt hat, und führt sie zum Mund. Sie isst gern mit Stäbchen, fühlt sich sicher, seitdem sie es mit Jonas so ausgiebig geübt hat. Sie hatten sich mit Erbsen gefüttert. Nach jeder fünften Erbse gab es einen Kuss. Fiel vorher eine Erbse runter, mussten erst fünf neue Erbsen »eingefahren« werden, bevor sie sich wieder küssen durften. Es waren tiefgefrorene Erbsen, und wenn sie einem auf den Bauch fielen und in den Schoß kullerten, musste der andere sie mit dem Stäbchen wieder auflesen. – Die beste Übung, um zu lernen, mit Stäbchen umzugehen.
Die Sushi-Röllchen sind groß und griffig, im Gegensatz zu den Erbsen – fast zu schwer für Stäbchen. Ihr fällt trotzdem keine runter.
Kolja schaut ihr zu beim Essen, guckt schon wieder so hungrig, will ihr die Finger ablecken. Aber sein Blick ist noch nicht reif. Er weiß nichts von den Erbsen, doch Julia sieht, dass er sich freut, weil es ihr schmeckt und er dazu beitragen kann, dass es ihr gut geht. Dafür zügelt er sich, lässt sich auf sie ein. » Ma me mi mo mu – ma me mi mo mu – ma me mi mo mu – ma me mi mo mu – ma me mi mo mu « , sagt Julia ruhig und rhythmisch und fängt gleich wieder von vorn an. Dann holt sie tief Luft.
»Ich habe nur an dich gedacht«, flüstert Kolja. »Den ganzen Tag.« Er schenkt ihr noch von dem Crémant nach. Sie spürt sein Sehnen nach ihrer Haut, ahnt schon die nächste Liebkosung. Der Crémant prickelt auf der Zunge, sie leckt sich über die Lippen, schließt die Augen, freut sich auf den zweiten Akt, denn er lässt ihr immer Platz für Jonas – einen Jonaszwischenraum . Kolja beugt sich zu ihr wie ein Filmstar; erst spürt sie nur seinen Atem, dann einen Hauch seiner crémant- kühlen Lippen – er versucht, sich so gut es geht zurückzuhalten. Sie sind auf dem richtigen Weg, denkt Julia. Schade nur, dass keine
Weitere Kostenlose Bücher