Je mehr ich dir gebe (German Edition)
Charly liebt Gaunerkomödien und freut sich wie ein kleines Kind auf den Film. Sie sitzen in der zweitletzten Reihe und essen aus einer Tüte Popcorn. »Jean Dujardin ist wirklich süß«, flüstert Charly ihr ins Ohr.
Nach dem Film stehen sie noch ein bisschen vor den Filmplakaten und reden über die schönsten Szenen.
»Er ist durch den Film The Artist berühmt geworden«, sagt Julia. »Hat als erster französischer Schauspieler einen Oscar bekommen. Und das für einen Stummfilm!«
»Krass. Wollen wir jetzt noch irgendwo hingehen?«
Julia schaut auf ihr Handy. Kolja hat schon zweimal angerufen. Das reibt sie Charly aber nicht unter die Nase.
»Ach ja«, sagt Charly. »Du hast ja noch eine Verabredung, wie schade.« Da schwingt doch tatsächlich ein spöttischer Unterton mit. Wortlos gehen sie bis zum Alex. In der Straßenbahn müssen sie stehen. In der U-Bahn setzen sie sich auf eine Zweierbank. »Sag mal«, fragt Julia, »findest du, das ist zu schnell, dass ich wieder jemanden habe?«
»Quatsch! Man muss nicht ein Jahr in Schwarz rumlaufen oder so. Red dir bloß kein schlechtes Gewissen ein.« Charly runzelt die Stirn. »Ich find’s nur seltsam, dass es ausgerechnet Kolja ist.«
»Aber du bist doch nicht mehr scharf auf ihn?«
»Ich war noch nie scharf auf ihn!«, sprudelt es aus Charly heraus. »Ich fand das Geknutsche damals schon nicht so dolle, um ehrlich zu sein, er ist ein mieser Küsser. Viel zu forsch. Aber an dem Abend dachte ich, wer weiß, für was ein bisschen Knutschen gut sein kann, und hab halt mitgemacht. Du warst ja eh nicht mehr zu gebrauchen …«
Zwei angetrunkene Typen von der Viererbank schauen andauernd zu ihnen herüber, machen auffällig Handzeichen, sie sollen zu ihnen kommen. – Was denken die sich eigentlich? Charly zeigt ihnen den Stinkefinger.
»Jetzt trauen die sich ganz sicher nicht mehr, uns anzuglotzen«, sagt Charly zu Julia, ohne den Mund zu bewegen.
Tatsächlich. Die Typen tun so, als wäre nichts gewesen. Julia muss schmunzeln. Wie leicht es doch manchmal mit Charly ist. Wenn sie doch nur mit ihr darüber reden könnte, dass sie durch Kolja näher an Jonas gelangt, dass Kolja sozusagen ein Vehikel ist. Aber wie hört sich das auch an? So was sollte sie nicht mal denken. Und sie benutzt Kolja ja nicht nur. Nicht nur – aber doch ein bisschen .
Sie schlendern noch durch die Kastanienallee und gehen dann zusammen in die U-Bahn. Am Hermannplatz steigt Julia aus und Charly um.
Sie küssen sich zum Abschied auf die Wangen.
»Wollen wir morgen früh telefonieren?«
»Ouí«, sagt Charlotte. »Na, dann knutscht mal schön.« Sie grinst. Bestimmt ahnt sie längst, was Sache ist.
Julia hat noch ein bisschen Zeit, bevor sie zu Kolja fährt. Sie setzt sich an den Computer, da ist wieder der Drang, die Fotos von Jonas hochzuladen, aber gleichzeitig der Schmerz, der schon kommt, bevor sie sich die Fotos überhaupt ansieht. Also lässt sie es sein, googelt ein bisschen. Ein Traumdeutungs-Link poppt ins Bild. Ihr fällt sofort der Traum wieder ein, wo sie als Greisin auf einem Schwimmbadgrund Kartoffeln schält. Sie klickt die Seite an und gibt noch mal Kartoffel ein, sie liest:
In der psychologischen Auslegung macht die Kartoffel die seelisch-emotionale Verwurzelung der träumenden Personen anschaulich. Die essbaren Knollen, die unter der Erde wachsen, umschreiben, dass irgendetwas im Unbewussten wächst und gedeiht, uns als Nahrung für unsere Seele vorgesetzt wird und damit auch unseren Charakter stärkt.
Aha, irgendwas Unterbewusstes wächst und gedeiht also in ihr. – Eine direkte Verbindung zu Jonas! – Genau das ist es. Eine Brücke! Die Kartoffel war also ein Zeichen dafür. Warum hat sie das denn nicht gleich gefunden?
Kolja erwartet sie schon ungeduldig, steht in der Wohnungstür und sagt, er hätte sich auf nichts anderes mehr konzentrieren können, so stark hätte er sie herbeigesehnt.
»Nun bin ich ja da«, sagt Julia.
»Ja«, sagt Kolja, nimmt sie in den Arm und küsst ihren Hals. Seine Lippen sind schön kühl.
»Was möchtest du trinken?«
»Wasser«, sagt Julia.
»Okay, erst mal Wasser.« Sie gehen in die Küche. Kolja schenkt ihr kaltes Mineralwasser ein. Danach gibt es Sekt. Obwohl sie gar keinen Sekt möchte.
»Das ist auch kein Sekt«, sagt Kolja, »das ist Crémant – so eine Art Champagner.« Er hält ihr die Flasche hin. So was Edles trinken ihre Eltern zum Hochzeitstag. Da kann sie nicht Nein sagen. Sie gehen mit zwei gefüllten
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